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Die Absetzung Heinrichs IV. in Ingelheim


Autor: Hartmut Geißler


Der langjährige Kampf Heinrichs IV. (* 11. November 1050, Krönung zum Mitkönig bzw. röm.-dt. König 1053/56, † 7. August 1106) mit dem Reformpapsttum um die Investitur der geistlichen Reichsfürsten ("Investiturstreit") und sein seit Bismarcks Reichstagsrede sprichwörtlich gewordener "Gang nach Canossa" gehören wahrscheinlich (neben Karl dem Großen) zu dem am weitesten verbreiteten deutschen Bildungsgut aus dem Mittelalter. Sein Leben und dieser jahrzehntelange politisch-religiöse Kampf müssen deswegen an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden.

Ich beschränke mich hier auf die Ingelheimer Ereignisse und berichte sie vorwiegend in der Fassung, die uns in einem (angeblichen) Brief Heinrichs IV. von 1106 an den Abt und die Mönche von Cluny (Nr. 37) detailliert überliefert ist. Ähnliches findet sich auch im Propagandabrief (Nr. 39). Weitere Angaben stammen aus der Vita Heinrichs IV., die freilich einseitig zu seinem Preis verfasst wurde und deshalb nicht immer verlässlich erscheint.

Während Heinrich IV. in seiner außergewöhnlich langen fünfzigjährigen Regierungszeit (1056 - 1106) sehr oft - so häufig wie kein anderer deutscher König - in Mainz war (Schmitz, Pfalz und Fiscus, zählte 40 mögliche Aufenthalte dort), besuchte er die benachbarte Ingelheimer Pfalz höchstens zweimal:

- Das erste Mal ist eher unwahrscheinlich. Da war der junge König mit 16 Jahren eilig auf dem Weg von Goslar, wo er von einer Verschwörung gegen ihn erfahren hatte, nach Tribur, wo das Treffen der Opposition stattfinden sollte; ob er dabei selbst den Umweg über Ingelheim wählte, nicht gerade der kürzeste für diese eilige Reise, geht aus dem Bericht nicht hervor. Aus seiner Begleitung aber suchte der hessische Gaugraf Werner III. Herberge in Ingelheim und zwar in dem Ortsteil, in dem das Kloster Hersfeld Besitz hatte, also in Ober-Ingelheim. Daher erzählt der Hersfelder Chronist Lampert von einem Zwischenfall, der sich im Dezember 1065 ereignet haben soll. Bewaffnete dieses Grafen Werner gerieten mit Einheimischen in eine gewaltsame Auseinandersetzung, in dessen Verlauf Werner von einem Hörigen des Klosters Hersfeld schwer verletzt wurde. Er wurde zum König mit seinem Gefolge, darunter Bischöfe, gebracht und starb dort. Ob auch alle diese Personen in Ingelheim Rast gemacht hatten oder ob Werner z. B. nach Mainz gebracht wurde, wo das Weihnachtsfest gefeiert wurde, geht aus dem Bericht des Lampert, den man zur Opposition des Königs rechnet, nicht hervor. (MGH, Lamperti Annales S. 101)

Saalwächter (BIG 9, S.137) ließ irrtümlich den Reichstag der Aufständischen, zu dem Heinrich eilte, in Ingelheim (statt in Tribur) stattfinden und betrachtete deshalb die alte Pfalz noch als intakt für Reichsversammlungen, was sie längst nicht mehr war. Sogar der Begriff "palatium" wurde schon über eine Jahrhundert nicht mehr verwendet. Sicher ist, dass Heinrich IV. das Ingelheimer Königsgut zu keinerlei Staatsgeschäften oder größeren Feiern benutzte, weder zu einem Osterfest noch zu einer Hochzeit wie sein Vater. Kirchliche Feste wurden nun in Bischofsstädten begangen.

Wahrscheinlich hat deshalb der Verfall der ehemaligen Ingelheimer Palastgebäude, von dem Rahewin ein Jahrhundert später schreibt, schon in dieser zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begonnen. Dies vermutete schon Christian Rauch 1960, S. 15.

- Das andere Mal, Ende 1105, war er nicht freiwillig hier.

Sein Sohn Heinrich (der spätere V.) hatte sich ein Jahr zuvor als Achtzehnjähriger (schon 1098 oder 1099 zur Nachfolge bestimmt) von seinem Vater losgesagt und sich zu Aufständischen nach Regensburg begeben, die ihn zu einem Staatsstreich gegen seinen umstrittenen Vater, das lebende Symbol für einen jahrzehntelangen Streit um die Bistümer, überredeten. Vorsichtshalber hatte er ein Gutachten des Papstes Paschalis II. eingeholt, ob er an den Treueid gegenüber seinem Vater gebunden sei. Erwartungsgemäß hatte der Papst das natürlich verneint. Vielleicht ging es dem Sohn auch darum, seinen Vater zum Rücktritt zu bewegen, um die Nachfolge für seine Familie zu sichern, wie manche Forscher spekulieren.

Nun sammelten beide, Vater und Sohn, im Jahr 1105 Truppen, ohne dass es zu einer Schlacht kam. Die Truppen des Sohnes konnten aber in einem Handstreich Speyer mit dem Thronschatz des Kaisers in ihre Hand bekommen. Anschließend luden die Aufständischen eine Versammlung mit dem Sohn in Mainz an Weihnachten 1105. Daraufhin stellte der Vater am Niederrhein, wo ihm vor allem Köln ergeben war, ein Heer zusammen und zog den Rhein herauf in Richtung Mainz, wo er schon so oft in seinem Leben gewesen war und dessen Bürgerschaft auf seiner Seite stand. Dies wurde für die Aufständischen bedrohlich, und deshalb griffen sie zu einer List: Sie schickten den Sohn dem Vater rheinabwärts nach Koblenz entgegen. Dort ließ er sich über die Mosel ins Lager des Vaters übersetzen und heuchelte Reue und Versöhnungsbereitschaft. Beide, der Vater ebenso wie der Sohn, sollen sich nach den Hildesheimer Annalen, S. 54, zu Füßen des anderen geworfen und sich gegenseitig um Verzeihung gebeten haben. Danach unterhielten sie sich lange über Gott und die Welt, über den Zustand der Kirche und ihr Seelenheil, wie die Hildesheimer Annalen gleichfalls berichten. In der Nacht überlegte der Vater zwar zu fliehen, wagte es aber nicht, von allen Seiten von Feinden umgeben.

Auf Anraten des Sohnes entließ der Vater den Großteil seines Heeres, und beide ritten zusammen mit nur etwa 300 Mann und, wie es schien, in völliger Familien-Harmonie rheinaufwärts in Richtung Mainz. Unterwegs soll der Vater zwar vor Verrat gewarnt worden sein, aber erneute Treueschwüre des Sohnes hätten ihn beruhigt.

Darüber, was bei der letzten Übernachtung vor Mainz in Bingen geschah, gibt es zwei Versionen. In einer heißt es, als sie dort angelangt waren (am 22. 12.), sei der Vater gefangen genommen und in Ketten zur Burg Böckelheim an der Nahe gebracht worden. Nach der anderen Version soll er freiwillig aus Sicherheitsgründen Zuflucht in Böckelheim gesucht haben, weil der Sohn ihn gewarnt habe, dass er ohne Loslösung vom Bann durch den Erzbischof nicht in die Stadt Mainz gelassen werden würde.

Der Sohn jedoch ritt nach Mainz zum Reichstag weiter, wo er und sein Handeln mit großem Beifall aufgenommen worden sein sollen (so die Vita).

In Böckelheim wurde der Vater einige Tage in strenger Haft unter der Bewachung seines Intimfeindes, des Bischofs Gebhard II. von Speyer, festgehalten, nur mit drei Laien als Begleitern, so dass er nicht einmal zu Weihnachten die Messe feiern konnte. Er musste dort "non balneatus et intonsus" (ungebadet und unrasiert; Hild. Ann.)bleiben. Der Bischof von Speyer setzte ihm - nach den Hild. Annalen - so lange zu, bis er in einen Thronverzicht einwilligte und der Übergabe der Reichsinsignien, die auf der alten Burg Hammerstein am Mittelrhein in der Nähe von Andernach (heute fast völlig verschwunden) aufbewahrt wurden, an Leute seines Sohnes zustimmte.

Dieses Verhandlungsergebnis überbrachte Bischof Gebhard nach Mainz, worauf die Fürsten mit dem Sohn beschlossen, am 31. Januar nach Ingelheim zu reiten, um hier den förmlichen Thronverzicht des Vaters zu erzwingen.


Die stilisierte Amtsübergabe (zur Vergrößerung bitte anklicken!)

Der Vater hatte von Böckelheim aus seinen Leuten in der Burg Hammerstein den Befehl gegeben, die dort in Sicherheit aufbewahrten Reichsinsignien den Leuten seines Sohnes auszuliefern, was sie widerstrebend taten:

- Krone,

- Szepter,

- Kreuz,

- Lanze,

- Schwert

- Vortragekreuz


Am 31. Dezember 1105 ritten die Teilnehmer der Mainzer Versammlung nach "Ingelheim", wohin auch der Vater von Böckelheim gebracht wurde, nicht etwa nach Mainz, wie vom Sohn versprochen; denn dort stand die städtische Bevölkerung überwiegend auf Seiten des Vaters. Möglicherweise fühlte man sich deshalb hier im Ingelheimer Saal unter dem bewaffneten Schutz der hiesigen Burgmannen sicherer als in Mainz.

Hier,vielleicht in der Aula regia, wenn sie noch benutzbar war, musste er nun vor den Großen des Reiches unter Drohungen gegen sein Leben offiziell auf die Herrschaft verzichten, ohne sich förmlich verteidigen zu dürfen. Nicht einmal die Loslösung vom (mehrfach wiederholten) päpstlichen Bann konnte er beim päpstlichen Legaten, der ebenfalls anwesend war, erreichen. Damit war er abgesetzt, hatte allen Besitz verloren und die Nachfolge seines Sohnes stand offen.

Anschließend begaben sich die Fürsten wieder nach Mainz, während der Vater vorerst in Ingelheim festgehalten wurde.

In der Darstellung des Ekkehard von Aura (Chronicon unversale, MGH SS 6, S. 231) wurde der Sohn am 6. Januar von den gesamten Fürsten Germaniens in Mainz zum zweiten Mal zum König gewählt, wobei er sicher die königlichen Insignien überreicht bekam, dann wurde er von den beiden apostolischen Legaten durch Handauflegung bestätigt und erhielt die heiligen Sakramente zuerst von den Bischöfen, dann von den Laien.

Aber auch dieser Heinrich (V.) verfing sich später in den fortdauernden Kontroversen des Investiturstreites; doch das ist eine andere Geschichte. Ekkehard von Aura beurteilte seinen kinderlosen Tod als Strafe für sein Handeln dem Vater und (später) der Kirche und dem Reich gegenüber.

Über die Einzelheiten der weiteren Ereignisse gibt es verschiedene Versionen:

1. Im Brief des Vaters Nr. 37 heißt es: "Dann befahl man uns, schleunigst wegzugehen, wenn wir nicht in lebenslängliche Gefangenschaft kommen wollten. Wir verfluchten den Ort und bestiegen ein Schiff, kamen bald nach Köln und entgingen so durch Gottes gnädiges Erbarmen noch eben den Händen der grausamen Feinde."

2. Im Propaganda-Brief Nr. 39 etwas ausführlicher und emotionaler: "So ließen sie mich ausgeplündert und verlassen - denn sie hatten mir Burgen, Güter und alles, was ich während meiner Herrschaft erworben hatte, mit der ihnen eigenen Gewalt und Geschicklichkeit entwunden - auf jenem Königshof ("villa"!) zurück. Dort hielt ich mich einige Zeit auf. Als aber mein Sohn aus der gleichen trügerischen Absicht verlangte, ich möchte ihn dort erwarten, wurde mir eine Botschaft einiger meiner Getreuen überbracht, die mir warnend anzeigte, dass ich entweder in dauernde Gefangenschaft fallen oder sogar an diesem Ort enthauptet würde, falls ich auch nur noch einen Augenblick dort bliebe. Am Leben verzweifelnd entfloh ich auf diese Meldung hin sofort, kam auf der Flucht nach Köln und gelangte schließlich nach Lüttich."

3. In der Vita, die die Absetzung anscheinend in Mainz lokalisiert, ohne Nennung von Ingelheim, heißt es lapidar: "Kurz, er verzichtete auf seine kaiserliche Würde und ging als einfacher Mann hinweg und zog sich auf einen Hof ("curtem"!) zurück, den ihm sein Sohn zum Lebensunterhalt überlassen hatte."

War mit diesem "Hof" Ingelheim gemeint? Der alte Königshof bei der Remigiuskirche? Die Absetzung könnte zwar in der Aula regia stattgefunden haben, deren Umfeld schon längst nicht mehr als "palatium" bezeichnet wurde, aber mit dem Hof wurde wohl der gesamte Ingelheimer Königsbesitz gemeint.

Ob der Sohn und seine Anhänger wirklich einen abgesetzten Kaiser in Ingelheim auf einer Art Altersruhesitz dulden wollten, in so verkehrsgünstiger Lage nahe bei Mainz und damit in unmittelbarer Nähe seiner dortigen Anhänger, erscheint doch sehr riskant und daher unwahrscheinlich (siehe seine Versuche von Lüttich aus!).

Die Forschung ist sich aber darin einig, dass diese erzwungene Abdankung in "Ingelheim" stattfand und dass Heinrich IV. von dort rheinabwärts geflohen ist (Ende Januar oder Anfang Februar 1106). Von Köln aus ritt er nach Lüttich/Liège und erneuten militärischen Widerstand organisierte Außerdem ließ er eine Reihe von Rechtfertigungsbriefen versenden.

Bevor es jedoch zu Kämpfen zwischen Truppen des Vaters und des Sohnes kommen konnte, starb der Vater plötzlich am 07.08.1106 in Lüttich. Sein Sohn ließ ihn später nach Speyer überführen und im Jahr 1111, nachdem posthum der Bann über ihn aufgehoben worden war, im Dom bestatten; er selbst besuchte Ingelheim nie wieder.

Seine Hochzeit mit der englischen Prinzessin Mathilde feierte Heinrich V.  mit größter Prachtentfaltung am 7. Januar 1114 in Mainz, wohin Fürsten aus dem ganzen Reich kamen. Nicht in Ingelheim wie sein Großvater.

Sebastian Münster berichtet darüber in seiner Cosmographie (hier Ausgabe 1545, S. 410 f.) im Rahmen der Mainzer (!) Geschichte, dramatisierend und offenbar auf der Seite des Vaters stehend. Nicht alle seine Details stimmen mit dem heutigen Wissen überein, insbesondere nicht, dass nur drei Reichsfürsten (die Bischöfe von Mainz, Köln und Worms, ohne seinen Sohn) ihn in Ingelheim zur Absetzung überredeten.


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Gs, erstmals 30.10.05; Stand: 25.04.21