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Freiheitsbäume


Autor: Hartmut Geißler


Aquarell von Goethe; Beschriftung des Schildes am Stamm:
Passans, cette terre est libre - Passanten, dieses Land ist frei


Auch in Ober-Ingelheim wurde am 16.01.1798 in einer offiziellen Feier ein "Freiheitsbaum" gepflanzt, eine lebende Kastanie, nach Andreas Saalwächter (1964) wahrscheinlich in der Uffhub und damit ein Vorgängerbaum der heutigen Kastanie. Die "Freiheitsbäume" dieser zweiten Welle (nach der ersten 1792/93, auf die sich Goethes Aquarell bezieht) waren offenbar richtige Bäume.

Zitat aus der Ingelheimer Zeitung, 28.02.1964:

Oberingelheim, den 17. Januar 1798 Gestern wurde dahier der Freiheitsbaum gepflanzt. Das Geläute aller Glocken und das Schießen aus Böllern Morgens in der Frühe kündigten diesen freudigsten Tag unseres Lebens an.

Nachmittags um ein Uhr begann der feierliche Zug, den die Schuljugend eröffnete, dieser folgte ein Chor Musikanten, dann unsere Jünglinge bewaffnet, und zwei derselben trugen vor ihnen her die große Nationalfahne, die nun auf unseren Thürmen wehen. Alsdann folgte ein Knabe mit der Freiheitskappe, hinter ihm zwölf weiß gekleidete Mädchen mit Nationalschärpen geziert, welche Lorbeerkränze und Tafeln mit Inschriften tragen. Alsdann folgte der Baum und neben ihm trugen Knaben noch zwei kleine Fahnen. Unsere Bürger und die, wo aus der Nachbarschaft hinzukamen, machten den Beschluß. Während der ganzen Feierlichkeit wechselten Gesang und Musik, das Feuern aus kleinen Gewehren und aus Böllern und der Ruf "Es lebe die Republik, es lebe die Freiheit", miteinander ab. Die Zusammenkunft aus der Nachbarschaft war so groß, daß sie Dachziegeln aushoben, um zusehen zu können. Unser Maire, Bürger Odernheimer und Bürger Derscheid, der Jüngere, hielten diesem Fest anpassende Reden.

Abends versammelte man sich zum frohen Tanz, und diesen Morgen beschloß man die Feierlichkeit damit, daß man das kurfürstliche Wappen am Gemeindehaus mit den Nationalfarben durchstreichen, und den Kurhut in eine Freiheitskappe verwandeln ließ, mit der Devise: "Schreckbilder, die die Finsternis erzeugte, verschwänden bei dem Lichte dieser Farben." Das Merkwürdigste ist, daß sich unsere Nachbarn an diesem Feste so erwärmten, daß sie beschlossen, es ohne Verzug auch in ihren Örtern zu feiern.

In Nieder-Ingelheim wurde zur selben Zeit ebenfalls ein Freiheitsbaum gepflanzt, aber ohne Genehmigung des dortigen Ortsvorstandes.

 

Gs, erstmals: 25.12.05; Stand: 02.12.20