Sie sind hier:   Erster Weltkrieg und Weimarer Republik > Erster Weltkrieg Ingelheim

Der Erste Weltkrieg - seine Auswirkungen in Ingelheim


Autor: Hartmut Geißler


Die Zitate stammen überwiegend aus der Ingelheim Chronik bzw. direkt aus den Ingelheimer Zeitungen. Details zu Frei-Weinheim sind der maschinenschriftlichen Chronik des Lehrers Dexheimer entnommen. Auch in der Untersuchung von Michael Kißener über Boehringer Ingelheim im Nationalsozialismus findet sich auch viel über das Ingelheimer Leben und Empfinden im Ersten Weltkrieg.


Zu Beginn des Krieges, der durch ein Extrablatt vom 1. August bekannt gemacht wurde, herrschte in Ingelheim das gleiche öffentliche Pathos wie im sonstigen Reich. Am 6. August berichtete die Zeitung von einer "erhebenden Abschiedsfeier" auf dem Ober-Ingelheimer Rathausplatz beim Abschied der ersten in den Krieg ziehenden Soldaten:

"Unseren in den Krieg ziehenden Mitbürgern bereitete die Gemeinde gestern Abend eine erhebende Abschiedsfeier. Zu der dicht gedrängten Menge auf dem Marktplatz sprach Pfarrer Scharmann vom Balkon des Rathauses aus: „Unwürdig ist die Nation, die nicht alles setzt an ihre Ehre.“ Nach Scharmanns zündender Rede und herzlichem Lebewohl schloß sich dem Bürgermeister Bauer an, der den scheidenden Vaterlandsverteidigern eine glückliche Heimkehr wünschte."

Die Jugend wurde schon ab dem 16. Lebensjahr auf ihren zukünftigen Einsatz vorbereitet:

3. Oktober 1914 - Die militärische Vorbereitung der Jugend vom 16. Lebensjahr an wird auch in unserem Kreise aufs tatkräftigste in die Wege geleitet.

Der "Heldentod" der Gefallenen wurde anfangs noch in der Zeitung veröffentlicht; hier ein Beispiel:

8. September 1914 - O.-I. Leutnant Karl Ritter vom 87. Inf.-Regiment, der jüngste Sohn des verstorbenen Pfarrers Ritter, ist auf dem Felde der Ehre gefallen. Auch Karl Haus, 12. Komp. des Inf.-Regiments Nr. 85 in Rendsburg, ist den Heldentod gestorben.

Auch die ersten Briefe der beiden Boehringersöhne zeigen diesen Hurra-Patriotismus; Näheres bei Kißener 2015, S. 31.

Zu Beginn des Krieges waren zwar im Herbst 1914 auf den Höhen um die Festung Mainz auch in den Gemarkungen von Nieder-­Ingelheim, Heidesheim und Wackernheim und weiter bis nach Hechtsheim Feldbefestigungen erbaut worden, als moderne Ergänzung zu den veralteten Mainzer Festungsanlagen. Sie mussten im März 1927 wieder gesprengt werden.

Die Front blieb weit von Ingelheim entfernt. Trotzdem bekam man angeblich Kriegshandlungen von weitem zu hören, denn zweimal findet sich in der Chronik der kaum glaubhafte Hinweis, dass der Kanonendonner von der französischen Front bei Verdun bis nach Ingelheim zu hören gewesen sei:

19. Oktober 1915 - Der Kanonendonner aus dem Westen wurde in den letzten Tagen der vergangenen Woche auf den Höhen der Umgegend wahrgenommen.
2. März 1916 - Der Kanonendonner von Verdun ist nun schon seit 8 Tagen ununterbrochen hier zu hören. Die Entfernung nach Verdun beträgt in Luftlinie 220 Kilometer. Wohl jeder hat den dumpfen Einschlägen und den Rollsalven der schweren Geschütze gelauscht und mit tiefer Ergriffenheit unserer braven Kämpfer gedacht.

Auch Lehrer Dexheimer erwähnt in seiner Chronik, dass der Geschützdonner von Verdun in Frei-Weinheim zu hören gewesen sei. Dies werde auch aus dem Rheingau berichtet.

Immerhin fielen im benachbarten Mainz und bei Gau-Algesheim im Jahr 1918 einige Bomben:

10. September 1918 - Fliegerangriffe. Dieser Tage fand ein Fliegerangriff auf die Stadt Mainz statt, bei dem etwa 13 Bomben abgeworfen wurden. Es entstand Sachschaden an Häusern und an einer Kirche. Bei Gau-Algesheim wurden 11 Bomben auf freiem Gelände abgeworfen.

Andachten für die Soldaten fanden statt, und es wurde eifrig für mildtätige Zwecke und für den Krieg gesammelt:

20. August 1914 - O.-I. Der israelitische Frauenverein Ingelheim überwies dem Roten Kreuz und dem Komitee zur Unterstützung Hilfsbedürftiger je 100 Mark.
5. August 1914 - N.-I. Eine Sammlung ergab 4 000 Mark. In der evangelischen Kirche finden ebenso wie in der katholischen Andachten für unsere Vaterlandsverteidiger statt. Zahlreiche Vereine bei der Ingelheim zeigen jetzt Opfersinn und spenden größere und kleinere Beträge für mildtätige Zwecke.
15. September 1914 - O.-I. Den etwa 300 Feldzugsteilnehmern will das Rote Kreuz, Ortsgruppe Ober-Ingelheim, Cigarren ins Feld schicken. Aus der Lederhos-Stiftung zeichnete die Gemeinde für 7.000 Mark Kriegsanleihe. Der Gewerbeverein Ingelheim hat aus seinem Baufonds für 1.000 Mark Kriegsanleihe gezeichnet.
3. Dezember 1914 - N.-I. Der Karneval-Sparverein „Wäschbächer“ wird jedem in Felde stehenden Mitglied ein Weihnachtspaket senden. Zu begrüßen ist ferner, daß die wöchentlich zur Auszahlung gelangte Unterstützung an verheiratete Mitglieder beibehalten wird.

Am 5. Dezember 1914 rief die Reichsbank die Bevölkerung dazu auf, ihre Goldbestände abzuliefern. Und im Februar 1915 veranstalteten die Konfirmanden im eine Goldsammlung, die als Ergebnis immerhin 12.500 Mark erbrachte.

 

 

 

 

Urkunde zum Frei-Weinheimer Nagelanker, in den für diejenigen Nägel eingeschlagen wurden, die eine Spende für den Krieg machten. Er war von der Frau des Fabrikanten Dr. Bopp gestiftet worden und stand (nach Dexheimer) im oberen Schulsaal.  Zu einer vergrößerten Abbildung hier klicken!

Wie den Nagelanker in Frei-Weinheim, der selbst nicht erhalten ist, gab es in Nieder-Ingelheim ein genageltes Kreuz, das gleichfalls nicht erhalten ist, und in Ober-Ingelheim einen mit Nägeln bedeckten Adler, der im Stadtarchiv aufbewahrt wird. Wer für einen sozialen Zweck spendete (z.B. für Kriegerwitwen und Waisen), konnte je nach Spendenhöhe eine eisernen, versilberten oder vergoldeten Nagel in das Holz einschlagen.

Nach Siegen wurde geflaggt und die Kirchenglocken, die später teilweise zu Rüstungszwecken abgegeben werden mussten, wurden geläutet:

8. September 1914 - Schön und lobenswert ist die Sitte, die Kunde von deutschen Siegen durch Beflaggung zu feiern, aber eine Siegeskunde soll nur einen Tag lang durch Beflaggung gefeiert werden. Setzt sich die Beflaggung ohne Unterbrechung fort, so verliert sie Wert und Bedeutung.
13. Oktober 1914 - Glockengeläute verkündete in Ingelheim den Fall der Festung Antwerpen. Auf dem Marktplatz versammelte sich eine freudige Menschenmenge.
4. August 1917 - O.-I. Am Anfangsabend des vierten Kriegsjahres läuteten die Glocken der katholischen Kirche zum letzten Mal zusammen. Eine davon wird dem Vaterland zum Opfer gebracht. Auch die St. Josephsglocke der katholischen Kirchengemeinde Nieder-Ingelheim wurde Kriegszwecken dienstbar gemacht.

Auch die Glocken der Gustav-Adolf-Kirche in Frei-Weinheim mussten 1917 abgegeben werden. Ihr Gegenwert wurde mit 4255,- Mark quittiert und in der Reichsanleihe Nr. 8 angelegt, die durch die Inflation nach dem Krieg völlig entwertet wurde ("Tut mir auf...", S. 35).

In Ober-Ingelheim musste der Unterricht für die Schüler der höheren Bürgerschule in das Amtsgerichtsgebäude verlegt werden, weil in den Räumen der Schule ein Lazarett eingerichtet wurde. In Nieder-Ingelheim dienten das Krankenhaus Ludwigstift, die Turnhalle der Volksschule und Räume, die Boehringer eingerichtet hatte, als Lazarette für Verwundete:

10. November 1914 - N.-I. Das Hospital Ludwigstift bewährt sich mit seinen modernen Einrichtungen als Lazarett. Auch die neue Schulturnhalle dient als solches. Frau Kommerzienrat Boehringer hat ebenfalls ein schönes Lazarett eingerichtet. In der Gemeinde finden 100 Soldaten gute Pflege.

Das Kirchweihfest in Nieder-Ingelheim fiel in diesem Jahr aus.

Pfarrer Korell aus Nieder-Ingelheim stellte auf seiner Schreibmaschine eine „Feldpostzeitung“ her, die mit angefügten Familiennachrichten an die Soldaten im Felde versendet wurde.

Die Frauen und Jungfrauen der örtlichen Alice-Frauenvereine strickten und nähten Kleidung für die Angehörigen der Soldaten in Not und für die Soldaten selbst gegen Kälte. Bei der ersten Strick- und Nähstunde waren 60 Damen anwesend, wie die Chronik unter dem 10.10.1914 vermerkt. Die Strick- und Nähabende mussten später wieder eingestellt werden, als es keine Wolle und keine Stoffe mehr zur Verarbeitung gab. Die Frauen kümmerten sich außerdem um bedürftige Kriegerwitwen und Kriegswaisen.

Ab dem Jahre 1915 machte sich allmählich eine kriegsbedingte Rohstoff- und Lebensmittelknappheit bemerkbar, die zur Einführung von verschiedenen Bezugskarten führte. Es mehren sich Meldungen wie diese:

12. Januar 1915 - Aufruf an das Volk: „Wer Brotgetreide verfüttert, versündigt sich am Vaterland und macht sich strafbar!“ „Wer mit dem Brot spart, erwirbt sich ein Verdienst vor dem Vaterland.“
19. Januar 1915 - O.-I. Vom 18. bis 24. 1. wird eine „Reichswollwoche“ durchgeführt. Was an Woll- oder Baumwollsachen entbehrlich ist, wird von freiwilligen Helferinnen eingesammelt.
30. März 1915 - Ingelheim. Brotkarten. Ab 29. März kommen in allen Orten des Kreises Bingen die Brotkarten zur Einführung.
24. Juli 1915 - Getreide-Verkaufsverbot. Die Großh. Kreisämter Mainz, Bingen und Oppenheim teilen mit: Die diesjährige Ernte an Weizen, Hafer, Gerste und Roggen ist zugunsten des Kommunalverbandes beschlagnahmt. Verkäufe an andere als amtliche Aufkäufer werden bestraft.
12. Oktober 1915 - O.-I. Die Erträge von mehr als einem Morgen Kartoffeln müssen auf der Bürgermeisterei angemeldet werden.
24. Februar 1916 - N.-I. Nichts ist vor den Spitzbuben sicher. Neuerdings mehren sich die Felddiebstähle ganz eigener Art. Da kein Obst und Gemüse zu mausen ist, so vergreifen sich die Diebe jetzt gleich an den jungen Obstbäumchen, die gestohlen und anderweitig eingepflanzt werden.
18. März 1916 - O.-I. Die Menge der abgelieferten Haushaltsgegenstände und des Altmetalls betrug 3.800 Kilo, wovon allein 3.000 Kilo auf die Kupferkessel entfallen, die aus fast jedem Hause abgeliefert wurden. Unter Androhung der Strafbestimmungen wird auf den Ablauf der Ablieferungsfrist aufmerksam gemacht.
18. März 1916 - Durch die Butterzentrale erhalten nur diejenigen Gemeinden Butter, die deren Abgabe durch Butterkarten regeln und kontrollieren. Die Butterkarte ist jetzt auch in Nieder-Ingelheim eingeführt und damit der Butterbezug möglich gemacht worden. Zur Zeit kommt eine ganz vorzügliche Süßrahmbutter aus Holland zum Verkauf. Ihr Preis ist naturgemäß wesentlich höher wie der anderer Speisefette.
11. April 1916 - Die Gemeinde hat der Volksschule Nieder-Ingelheim zur Erstellung einer großen Sonnenblumenpflanzung ein großes Stück Land zur Verfügung gestellt. Der Samen wurde vom Kreisamt gestellt. Schulkinder nehmen die Pflanzung vor. Ziegenzüchter werden aufgefordert, zur Steigerung der Milchproduktion für die Vermehrung des Milchziegenbestandes Sorge zu tragen.
27. Mai 1916 - Drei Viertel allen Kaffees hat die Regierung zum Selbstkostenpreis eingezogen, ein Viertel ist dem Handel freigegeben. Abzugeben ist stets halb Kaffee, halb Ersatz. Der Präsident des neuen Reichernährungsamtes für das Deutsche Reich ist befugt, jede Maßnahme zu treffen, die ihm geeignet erscheint. Er darf auch direkte Weisungen an alle Behörden ergehen lassen. - Wegen der augenblicklichen Zuckerknappheit wird dringend geraten, Obst ohne Zucker einzukochen.
20. Juni 1916 - O.-I. Die Lebensmittelkommission unserer Gemeinde hat ihre Tätigkeit aufgenommen und zunächst Fleischkarten zwecks gerechterer Verteilung der bis hierher gelangenden Fleischmengen eingeführt. Wer selbst schlachtet, ist von dem Fleischkartenbezug ausgeschlossen. Das Fleischquantum, das zugeteilt wird, beträgt pro Woche und Person 125 Gramm.
10. August 1916 - O.-I. Bis zum 1. 9. sind alle Fahrradgummiteile abzuliefern oder anzumelden.
19. Dezember 1916 - N.-I. Rüben-Winter. Die Gemeinde hat für die Arbeiterbevölkerung größere Mengen Gelb- und Weißrüben angekauft und gibt diese zu Selbstkostenpreis in kleinen Mengen ab. Bei der Kartoffelknappheit wird geraten, die Gelegenheit zu nutzen. Die Rüben sind nur zur menschlichen Ernährung und nicht als Viehfutter gedacht. - In der Gemarkung Ober-Ingelheim wurden eine Anzahl Burschen wegen Wilderns mit der Flinte festgenommen. Wildern ist an der Tagesordnung.
1. Februar 1917 - Angesichts des Kohlenmangels und der erschwerten Bedingungen des Transports wird dringend zu strengster Sparsamkeit aufgefordert.
3. Februar 1917 - „Hamsterin“ gefaßt. Eine „hamsternde“ Frau aus Mainz, die eine größere Menge Butter zu überhöhten Preisen sowie einen Sack Suppengerste gekauft hatte, wurde ermittelt. Die Waren wurden beschlagnahmt und konfisziert. Sie erwartet ebenso wie die Landwirte, die ihr verkauften, eine Strafe.
5. Juli 1917 - O.-I. Um Heidelbeeren zu pflücken, fuhren etwa 80 Frauen und Mädchen für einen Tag in den Ingelheimer Wald und kamen zum Teil mit beachtlichen Mengen zurück.
6. Oktober 1917 - Den Kommunalverbänden wird durch die Reichsgetreidestelle vom 1.11. an zehn Prozent weniger Mehl überwiesen werden, sie erhalten als Ersatz wie zu Beginn der Brotrationierung Kartoffeln zur Streckung, so daß das Gebäckgewicht wie bisher weiter gegeben werden wird. - Zentnerweise wurden in der Gemarkung Bingen die Trauben gestohlen. - In Mainz wurden zum Zwecke der Kohleersparnis 48 Bäckereibetriebe geschlossen.
7. Februar 1918 - Im vierten Kriegsjahr sind die Preise für Damen- und Herrenbekleidung auf eine Höhe gestiegen, die der minderbemittelten Bevölkerung Neuanschaffungen sehr schwer machen. Für diese Kreise wurden „Reichsanzüge“ angekündigt, die über die Kommunen von der Reichsbekleidungsstelle ausgegeben werden sollen.
13. April 1918 - Brennesselstengel enthalten eine Faser, die bei fabrikmäßiger Bearbeitung einen vorzüglichen Ersatz für Baumwolle abgibt. Das Sammeln der Brennesseln ist deshalb eine vaterländische Pflicht und von großer Bedeutung für die Versorgung des Heeres.

Exkurs des Verfassers: Dass im Oktober 1917 erneut verordnet werden musste, dem Brot wegen der Getreideknappheit Kartoffeln zuzusetzen, ist damals sicherlich als ein unerfreuliches Zeichen von Mangel empfunden worden. Heutzutage bieten die Bäcker allgemein "Kartoffelbrot" an, das als Delikatesse von vielen geschätzt wird.

Auch der Mangel an einheimischen Arbeitskräften wurde spürbar. Zum Ausgleich wurden den Landwirten und Gewerbebetrieben Kriegsgefangene angeboten:

7. April 1915 - O.-I. Wer will Gefangene? Durch die Ortsschelle ist bekannt gemacht worden, daß diejenigen, die Gefangene beschäftigen wollen, sich auf der Bürgermeisterei melden sollen.

Am 26. November 1918 wurden sie am Ende des Herbstes wieder verabschiedet:

O.-I. Der Abtransport der Russen und anderer Kriegsgefangenen erfolgte hier am Samstag. In Manchem Hause mag der Abschied nicht so leicht geworden sein. Im großen und ganzen waren die Russen gutmütige und willige Burschen, die durch Fleiß und Treue in mancher Familie in gutem Andenken bleiben werden.

Auch Heimarbeit wurde gefördert, u.a. um den Soldatenfrauen einen zusätzliche Verdienstmöglichkeit zu bieten:

21. August 1915 - N.-I. Heimarbeiterinnen. Ein Ausschuß für die Beschaffung von Heimarbeit für die Frauen der zu den Fahnen Einberufenen wurde gegründet. Es gibt 71 Heimarbeiterinnen, wovon 56 sich mit Näh- und 15 mit Stickarbeiten befassen.

Aber die gerade eröffnete Berufsschule musste aus Arbeitskräftemangel gleich wieder geschlossen werden:

7. Dezember 1916 - O.-I. Arbeitskräfte fehlen. Die vor 14 Tagen begonnene Fortbildungsschule wurde jetzt wieder geschlossen. Die jungen Leute werden jetzt nötiger in den Betrieben gebraucht.

Für Bedürftige wurde gesammelt und z.T. auch durch Spenden gesorgt. Boehringer zahlte für die Angehörigen der einberufenen Werksangehörigen, allerdings unterschieden nach Angestellten und Arbeitern:

7. Dezember 1915 - N.-I. Die Gemeindeverwaltung Nieder-Ingelheim hat aus eigenen Mitteln und freiwilligen Zuwendungen (Rotes Kreuz mit 6.968 Mark) 24.765 Mark an die Angehörigen der zum Heer Einberufenen ausbezahlt. Die monatliche Gemeindeunterstützung beträgt derzeit 1.300 Mark. In der nächsten Woche werden wieder 800 Zentner Kartoffeln an die bedürftigen Angehörigen von Kriegsteilnehmern verteilt.
30. Dezember 1915 - N.-I. Der Verein Waisenschutz veranstaltete eine Bescherung im Waisenhause für bedürftige Kinder.
8. Juli 1916 - N.-I. Herr Kommerzienrat Albert Boehringer, der in sozialpolitischer Hinsicht schon so oft bahnbrechend vorging, hat seiner gesamten Arbeiterschaft Teuerungszulagen gewährt und in seinen Büros die durchgehende Arbeitszeit eingeführt. Des Samstagsfrühbeschlusses erfreuen sich die Angestellten schon seit Jahresfrist. In ganz besonders anerkennenswerter Weise sorgt der Kommerzienrat für die Familien seiner zum Heer einberufenen Angestellten und Arbeiter. Ersteren wird das volle Gehalt weitergezahlt und den Arbeiterfamilien schon seit Kriegsausbruch Wochenunterstützung gewährt.
27. Februar 1917 - Großzügige Spende. Der Ober-Ingelheimer Hermann Hartner, Inhaber einer Saarbrückener Kohlenhandlung, hat der Gemeinde 300 Zentner Kohlen zur Verteilung an Bedürftige geschenkt.

Bedürftig wurden immer mehr Menschen, denn die wachsende Inflation trug immer mehr zur Verarmung der Gehaltsempfänger bei. Im Sommer 1918 resümierte die Zeitung:

23. Juli 1918 - Mittelstand verarmt. Es wird vom verblutenden Mittelstand gesprochen. Angesichts der Steigerung der Spareinlagen, des steigenden Wohlstands gewisser Schichten, hoher Arbeitslöhne und enormer Kapitalbildungsprozesse darf die Kehrseite der Medaille nicht außer Acht gelassen werden. Diese bedeutet die elende Lage des Mittelstandes und die traurige Lage der Festbesoldeten. Der Krieg frißt auch vielen Menschen das, was sie sich vor dem Krieg als Auskommen für ihren Lebensabend auf die Bank gelegt haben. Die ständig sinkende Kaufkraft des Geldes benachteiligt alle diejenigen, die nichts produzieren, mit nichts handeln und nicht am Geschäft mit dem Krieg beteiligt sind.

Trotzdem fanden sich immer noch Personen, die den Durchhaltewillen der kriegsmüden Bevölkerungen zu stärken versuchten:

30. November 1916 - N.-I. Während der vaterländischen Feier am kommenden Sonntag spricht Pfarrer Korell über „Die Quellen deutscher Kraft“.
1. Januar 1918 - Die deutsche Vaterlandspartei, Ortsgruppe Mainz, wirbt auch in Ingelheim um Mitglieder. Unter dem Schlagwort „Volksmehrheit gegen Reichstagsmehrheit“ will man sich für einen Frieden einsetzen, der politische Unabhängigkeit, militärische Sicherung und wirtschaftliche Entwicklung gewährleistet. Man wendet sich gegen einen Verzichtfrieden.

Über die Umstände, unter denen der Krieg tatsächlich zu Ende ging, haben die Ingelheimer Leser nichts aus ihrer Zeitung erfahren (August/September 1918: drohender Zusammenbruch der deutschen Stellungen in Nordfrankreich und allmähliches Zurückweichen; und 29. September 1918: die Oberste Heeresleitung fordert von der Reichsregierung sofortige Waffenstillstandsverhandlungen).

Der Waffenstillstand zwischen der Entente und dem Deutschen Reich trat am 11.11.1918 in Kraft.

Zurück zum Seitenanfang

Gs, erstmals: 06.11.07; Stand: 25.03.21