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4. Die katholische Kirche St. Michael

und eine Darstellung der Geschichte der Weinheimer Kirchen von Alfons Ball


Autor und Fotos: Hartmut Geißler
mit Alfons Ball (†)


St. Michael, auf allen Seiten dicht von Häusern umstanden, von der Schubertstraße aus. Am hochgelegten Treppen-Eingang (am linken Bildrand) lässt sich die Vorsorge für die häufigen Überschwemmungen des Ortes erkennen.

Die Kirche, ein schlichter Saalbau, entstand 1760/62, weil die bisherige Kirche "im Kriegswesen" (Pfälzer Erbfolgekrieg?) abgebrannt war. Sie steht an einer Stelle, an der es vorher eine dem Patron der Schiffer geweihte Nikolaus-Kapelle gegeben hatte, die 1387 zum ersten Mal erwähnt ist. Geweiht wurde die neue Kirche erst im Oktober 1767 in einer gemeinsamen Aktion mit St. Remigius in Nieder-Ingelheim und St. Michael in Ober-Ingelheim durch den Mainzer Weihbischof Christoph Nebel. Man hat es sich damals sicher nicht vorstellen können, dass später einmal zwei Kirchen mit demselben Patron in einer Stadt vereint wären, in Frei-Weinheim und in Ober-Ingelheim.

Über die konfessionellen Verhältnisse in Frei-Weinheim im 16. und 17. Jahrhundert weiß man bisher, wie Saalwächter in BIG 9 feststellte, noch sehr wenig. Man muss jedoch davon ausgehen, dass nach 1565 erst einmal ganz Frei-Weinheim reformiert wurde und es bis zum Dreißigjährigen Krieg auch blieb. Danach wurde der Ort großenteils wieder rekatholisiert.

Die verbleibende reformierte Gemeinde war bis 1690 eine Filiale von Nieder-Ingelheim und ihre Mitglieder mussten zu fast allen kirchlichen Veranstaltungen auch dorthin, in die (noch) reformierte Remigiuskirche, laufen (diagonaler "Kirchweg"). Nach 1690 wurden die Reformierten bis ins 20. Jahrhundert von Ober-Ingelheim versorgt.

Bei der Pfälzer Kirchenteilung 1706 wurde die Frei-Weinheimer Kirche den Katholiken zugeteilt (Saalwächter, BIG 13, S. 93).

Ihr vieleckiger Treppenturm ist seitlich angesetzt. Der Glockenturm stammt von 1928. Die Orgel der Kirche wurde im 18. Jh. vom Orgelbaumeister Dreymann für den Mainzer Dom gebaut, wo sie sich bis 1862 befand.


Über St. Michael schrieb Alfons Ball unter anderem:

Die Ursprünge der Kirche liegen in der erstmals 1387urkundlich erwähnten St. Nikolaus-Kapelle. Mehrere Chronisten datieren die Erbauung des wohl im gotischen Stil errichteten Sakralbaus auf 1260; denkbar ist sicherlich ein Vorgängerbau. Dieser markierte damals die Ortsmitte des kleinen, mittelalterlichen Weinheim. Der Charakter des Dorfes am Rhein legte die Wahl des hl. Nikolaus als Schutzpatron der Schiffer und Fischer für das Patrozinium des Gotteshauses nahe. ...

Die Michaelskapelle wurde nach 1760 zu einem ansehnlichen Barockbau erweitert. Von diesem Umbau künden die Jahreszahlen 1760 über dem Eingangsportal und 1762 über dem Bogen zwischen Kirchenschiff und Altarraum. Dabei bekam die katholische Gemeinde einen kleinen Glockenturmn aus dem Kloster Gottesthal in Mittelheim/Rheingau als Geschenk(nach einer anderen Quelle aus dem Kloster Marienthal). Er befindet sich als Dachreiter auf dem First der Kirche, in dem heute die Taufglocke hängt; 1777 kam ein Geläut hinzu.

Bald nach der Renovierung erlitt die Pfarrkirche in der schweren Flutkatastrophe mit hohem Eisgang vom Februar 1784 schwere Schäden. ... Der kleine Turm erfuhr 1851 eine Ausbesserung und erhielt 1876 eine neue zweite Glocke.

Dieses Geläut ersetzte man im Sommer 1907 durch ein neues, zumal eine Glocke gesprungen war. In dieser Zeit plante die evangelische Gemeinde den Neubau der heutigen Gustav-Adolf-Kirche. Das alte Gebäude in der Kirchstraße hatte infolge vieler Rheinüberschwemmungen stark gelitten und reichte für die größer gewordene Gemeinde nicht mehr aus.

Nach der Volkszählung vom 1.12.1910 hatte Frei-Weinheim 882 Einwohner. Von den 442 Frauen und 440 Männern waren
- 608 katholisch
- 267 evangelisch
-     7 sonstige
-     0 jüdisch

...

Auch die katholische Gemeinde entbehrte so (wegen der Glockenabgabe im Ersten Weltkrieg) eine ihrer beiden Glocken; als Ersatz erhielt sie von der Fürstlichen Familie [zu] Solms [-Braunsfeld] eine kleine Glocke geschenkt, die vorher in der Klause, der heutigen Anglerklause, auf der Lebertsau hing. Wie Philipp Dexheimer jr. in der Ingelheimer Zeitung darstellte, wurde die inzwischen zu kleine St. Michaelskirche im Jahr 1923 erneut umgebaut. Angesichts des schweren Krisenjahrs in Deutschland konzentrierte sich die damals spärliche Berichterstattung mehr auf die wirtschaftlichen und politischen Sorgen des Alltags als auf diese bauliche Veränderung.

In diesem Zusammenhang mögen der feierliche Gottesdienst unter Mitwirkung des Binger Kirchenchors und 200 Gästen sowie das nachmittägliche Beisammensein im Saal des benachbarten Gasthauses Genzler ("Zur Traube") stehen, die die Lokalzeitung im Juli 1923 meldete. Zeitgenossen berichten, daß der innere Aufgang zur Empore an der Rückwand rechts vom Hauptportal verschwand. Der Zugang erfolgte nun über den seitlich angesetzten Treppenturm. Für die Aufnahme von Glocken besaß dieser aber nicht die nötige Höhe, um deren Läuten über den Ort zu tragen. Bald jedoch kam der Plan zum Bau eines neuen Glockenturms zur Ausführung (1927/28).

An der Stelle des projektierten Turms befand sich in einem Anbau die Sakristei, die außer dem Zugang durch die Kirche auch über eine rückwärtige Tür in den Kirchgarten verfügte. Diese benutzten die Messdiener gerne, um sich zur gegebenen Zeit vom dortigen Nussbaum zu bedienen. Der spätere, kirchliche Kindergarten wurde erst 1938 erbaut und blieb über drei Jahrzehnte im Betrieb.

Im übrigen präsentiert sich der Innenraum der Kirche heute sehr viel schlichter als damals. Wie Bilder noch zeigen, zierten eine aufwendigere Altargruppe, Seitenaltäre, eine gemauerte Kommunionbank, Wandmalereien und anderes das Gotteshaus; an der Nordseite des Kirchenschiffs befand sich eine Kanzel. Die Ingelheimer Zeitung berichtete im Juli 1927 über die im Gang befindlichen Bauarbeiten.

Die Einweihung des mit 34,50 m. dominierenden Turms fand in der Karwoche 1928 statt. In der Woche zuvor war auch das neue, viertönige Geläut aus einer Gießerei in Brilon am Ingelheimer Bahnhof angekommen, wo es freitags abgeholt wurde. Unter freudiger Anteilnahme empfing die Gemeinde um sechs Uhr die Glocken auf einem sechsspännigen Wagen an der Gemarkungsgrenze. Von dort gelangten sie in feierlichem Zug durch die mit Fahnen prächtig geschmückten Straßen zum Kirchplatz. Eine Gruppe von Radfahrern und eine Musikkapelle begleiteten den Zug.

Am Palmsonntag, dem 1. April, erfolgte um 14.30 Uhr die Glockentaufe durch die Waschung mit Weihwasser, Salbung mit den heiligen Ölen und Räuchern mit Weihrauch, Myrrhe und Thymian, mit dem Absingen des Tedeum und dem sakramentalischen Segen. Die Glocken wurden als Christkönigs-, St. Maria-, St. Michael- und St. Josefs-Glocke geweiht; sie trugen die Inschriften „Der Herr, unser König, wird uns erretten“, „Du glorreicher Fürst, hl. Erzengel Michael, gedenke unser“, „Hl. Mutter Gottes, immerwährende Jungfrau, bitte für uns“ und „Hl. Josef, mache, daß wir unschuldig durchs Leben gehen“. Sie erklangen in den Tönen f-as-b-c und wogen 26, 12, 9 und 6 Zentner. Die Zeremonie vollzog Domkapitular Prälat Schmitt, der für den kurzfristig erkrankten Prälat May einsprang, den Seelsorger der hiesigen Gemeinde. Anwesend waren die Geistlichen aus den Nachbargemeinden sowie den Klöstern Jakobsberg und Rochusberg. Nach der Weihe war die Gemeinde zu einer weltlichen Feier im Saal Genzler geladen.

Montags wurden die Glocken auf den noch nicht ganz vollendeten Kirchturm aufgezogen, von wo sie mittwochs probeweise ertönten und am folgenden Ostersonntag erstmals zum Gottesdienst riefen. Die Grundstein-Urkunde wurde erst zum Festtag des Diözesanpatrons, des hl. Martinus, und dem zehnten Jahrestag des Waffenstillstands im Weltkrieg am 11. November 1928 eingesenkt. Sie nennt die geistlichen Würdenträger jener Zeit, Papst Pius XI., Bischof Ludwig Maria Hugo, Pfarrer Helbig von Nieder-Ingelheim, deren Filialkirche St. Michael bis 1947 war, Kaplan Suder und andere, daneben Bürgermeister Kitzinger und seine drei Kollegen im Kirchenvorstand, den Kirchenrechner, den Organisten Lehrer Schönefeld und den Küster Bernhard Matthias Bockius, ferner alle planerisch und handwerklich Beteiligten sowie die Stifter der vier Glocken.

Leider war der Gemeinde keine lange Freude an ihrem Geläut vergönnt. Im Jahre 1942 wurden die Glocken wiederum abgeholt, um auch diese für Kriegszwecke einzuschmelzen. Als Ersatz erhielt die Kirche zwei kleine Glocken, von der die eine über 120 Schrammen aufwies. Es war eine Sonderbronzeglocke, die sich nicht einschmelzen ließ. Solche wurden im Krieg als Fallhammer zum Zerschlagen der reinen Bronzeglocken benutzt. So entschieden sich 1953 die Pfarrmitglieder mit ihrem Pfarrer Dr. Albert Münch aufgrund der leidvollen Erfahrung zur Anschaffung eines Vierergeläuts aus Sonderbronze.

Es war auf das der Gustav-Adolf-Kirche abgestimmt, wie Pfarrer Römheld damals erfreut feststellte. Der evangelischen Gemeinde hatte man ihre Glocken im Krieg gelassen, weil sich das Material für Rüstungszwecke als nicht verwendbar erwies.

Am dritten Adventssonntag, dem 13. Dezember des Jahres, konnten die neuen Glocken auf die Namen von Papst Pius XII, Bischof Albert Stohr, des Erzengels Michael und der hl. Maria geweiht und ihrer Bestimmung übergeben werden. Es war das dritte Geläut der Gemeinde in diesem Jahrhundert.

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Gs, erstmals: 13.03.06; Stand: 28.10.20