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Die unterirdische karolingische Wasserleitung


Autor: Hartmut Geißler

nach Karl der Große in Ingelheim;
darin: Peter Haupt: Die karolingische Wasserleitung der Ingelheimer Königspfalz;
Peter Haupt: Die karolingische Wasserleitung bei Ingelheim... in: Archäologie und Bauforschung Band 1, 2021, S. 204-208
mit späteren Ergänzungen durch Gs,
2020 aus Gierszewska-Noszczynska/Peisker, Das Palatium, S. 111-112


Die Wasserversorgung großer Menschenmassen, wie sie zum Beispiel zu Reichsversammlungen in Ingelheim zusammenströmten, war stets eine wichtige Aufgabe. Der Standort des Ingelheimer "palatiums war in dieser Beziehung günstig, weil die Pfalz im Bereich des Quellhorizontes des Mainzer Berges liegt, sodass es im Gelände des Palastes, aber auch im weiten Feld östlich davon viele Quellen gibt. Doch diese vielen Quellen und Brunnen waren den Planern des neuen Ingelheimer Regierungsviertels offenbar nicht genug, denn sie ergänzten das örtliche Wasseraufkommen durch eine ca. 7 km lange unterirdische, gemauerte Wasserleitung mit ergiebigem Quellwasser nach römischem Vorbild, mitten in den Palast hinein.

Wenn man sich mühsam quer durch die Felder ungefähr entlang dieser langen, unterirdischen Wasserleitung hindurchgekämpft hat (Begleitwege gibt es nicht!), dann wird es klar: Schon diese Wasserleitung ist ein starkes Indiz dafür, dass der Pfalzneubau Karls eigentlich eine Investition für eine längere und intensivere Nutzung war, als es zu seiner Zeit der Fall war. Aber Aachen wurde ihm die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens wichtiger.

Links: Besichtigung eines freigelegten Wasserleitungsstücks in der Gewann "Oberer Keller" durch Herren des Historischen Vereins und Gäste am 14. September 1906, ein Jahr nach Gründung des Historischen Vereins (heute in einer Schutzhütte am Heidesheimer Weg unterhalb des Rabenkopfes zu besichtigen)

Personen (v. l. nach r.),
oben: ev. Pfarrer Ritter (OI); Bertram Theis; Gerichtsschr. Jung (OI); Andreas Saalwächter;
sitzend: Wegearbeiter Jung; Prof. K. Schumacher (Mainz); Dr. K. Plath (Wiesbaden);
unten: H. P. Saalwächter (NI); ev. Pfarrer Konrad Schlunk (Engelstadt); kath. Pfarrer Waller (NI);
aus: BIG 7, S. 12

Im Zuge der jüngsten Ausgrabungskampagne seit 1993 wurde zweifelsfrei geklärt, dass diese unterirdische Wasserleitung von Heidesheim bis zur Ingelheimer Pfalz nicht etwa schon in römischer Zeit gebaut worden ist; dies ergaben mehrere Materialuntersuchungen. Außerdem fehlt dazu jedweder römische Großbau, der für eine solche Investition Bedarf gehabt hätte.

Ihre Bautechnik entspricht aber in etwa der alten römischen Bauweise: ein aus heimischen Kalkbruchsteinen gemauerter Kanal, der durch einen speziellen Estrich (lat. opus signinum) innen abgedichtet war. Diesem Estrich war zur Verbesserung der Wasserundurchlässigkeit wie in der Antike Ziegelmehl und Ziegelgrus beigemengt, bei der Ingelheimer Leitung offenbar sogar aus Ziegeln alter römischer Produktion, wahrscheinlich aus römischen Ruinen.

Zur Bauzeit waren die Reste der nicht mehr in Betrieb befindlichen römischen Wasserleitung, die in nur 500 Meter Entfernung von den Karlsquellen in Finthen begonnen und Wasser ins römische Legionslager nach Mainz geleitet hatte, wahrscheinlich noch zu besichtigen. Das altrömische Vorbild lag also nahe. Aber auch  in Rom selbst konnte Karl Vorbilder für Wasserleitungsbauten in dieser Technik besichtigen, die von den Päpsten instandgehalten wurden.


Der genaue Anfang der Leitung mit ihren karolingischen Quellfassungen ist noch nicht gefunden worden, wurde aber stets bei den sog. "Karlsquellen" östlich von Heidesheim, oberhalb der "Sandmühle" vermutet. Dort entspringen noch heute mehrere Quellen, die zu einem kräftigen Bach vereint, nach einem Bericht von 1855 einige Mühlen angetrieben haben (7 Mahlmühlen und 2 Ölmühlen).

Peter Haupt führte als Belege für den Verlauf östlich des Bacheinschnittes zwischen Wackernheim und Heidesheim sowohl die Steinreste in den Lößwänden der Hohlwege an als auch ein Stück eines "sehr gut erhaltenen Aquäduktes in Wackernheim (In der Bachwiese)" (Foto unten links).

Von diesem Quellgebiet aus konnte das Wasser mit leichtem Gefälle zum Palatium geleitet werden, stets dem Gelände angepasst, zuerst in südwestlicher Richtung nach Wackernheim, um dort am unteren Dorfende das Tal mit seinen zwei Bächen zu überqueren (wahrscheinlich mit kleinen Aquädukt-Brücken), um dann wieder nach Norden zu biegen und um den Rabenkopf herum in Richtung Pfalz zu fließen.

Das war insgesamt eine recht aufwändige Aquäduktführung, die nur durch auswärtige Spezialisten (aus Italien?) vermessen und organisiert werden konnte. Das Volumen der dazu nötigen Maurerarbeiten (ca. 11.000 bis 14.000 m3)wird von Haupt auf etwa dieselbe Größe geschätzt wie für die Gebäude des ganzen Palatiums.

Die Handarbeiten und Gespanndienste mussten natürlich die einheimischen Bauern leisten:

- zuerst einen mindestens 2,70 m tiefen Graben ausheben, der mit einem leichten Gefälle dem Gelände angepasst war
- die Kalkbruchsteine aus benachbarten Steinbrüchen brechen und herbeifahren
- den Boden und die Seitenwände hochmauern und mit dem Dichtungsverputz, der nach einer ausgeklügelten Rezeptur hergestellt werden musste, auskleiden
- anschließend den oberen Bogen darüber mauern und die Leitung wieder mit Erde bedecken.


Ihre Maße:

- Innenbreite: ca. 0,45 m
- Innenhöhe bis zum Gewölbescheitel: ca. 1,10 m
- Außenmaße: 1,15 m Gesamtbreite, 1,70 m Gesamthöhe

Die Leitung war so tief im Boden eingegraben, dass ihr Gewölbescheitel ursprünglich mit fast 1 m Erdreich bedeckt und damit frostsicher war. An einigen Stellen wurde der sandige Boden darüber durch Bodenerosion abgetragen, sodass die Mauersteine zutage traten.

Ihr Gefälle lag mit durchschnittlich 0,54% (Schätzung Haupt) etwas höher als die Richtwerte, die der römische Architekt Vitruv im 1. Jh. v. Chr. empfahl (zwischen 0,25 und 0,5%). Denn von ihrem vermutlichen Quellgebiet erstreckt sie sich über "gut 7 Kilometer" (Haupt) und sinkt dabei etwa um 45 m, von etwa 180 m üNN auf etwa 135 üNN, d. h. um 64 cm auf 100 m. Sedimentablagerungen an einigen Stellen deuten andererseits auf ein zu niedriges Gefälle hin, das daher möglicherweise etwas schwankte.

Revisionsschächte sollte es gegeben haben; sie sind bisher aber nicht gefunden worden.


Die nach Ingelheim geleitete Wassermenge war nicht gering: Im Kanal floss das Wasser 20 bis 30 cm hoch in 45 cm Breite. Insgesamt war es eine teure Investition für den Luxus frischen, fließenden Wassers.
 

Ihr Ende lag unter dem heutigen Zuckerbergplatz, von wo aus ein Teil des Wassers in das Setzbecken am Nordbau floss (siehe Bild unten) und der andere durch die 6 Türme des Halbkreisbaus, wo die Leitung nach oben offen war, anscheinend zur Wasserentnahme.

Auf dem Foto unten ist der Treppenabgang zum Setz- und Klärbecken des (ursprünglich) hindurchfließenden Wassers für den Nordbau zu sehen, mit originalem karolingischem Mauerwerk, sowie rechts daneben ein rundes Fenster mit Blick in den Kanal hinab, in dem heute nachgebildete Tonröhren liegen, deren Vorbilder in der Stauferzeit verlegt wurden, in den trocken gefallenen Kanal hinein. Deren Wasser dürfte aber nicht mehr aus Heidesheim, sondern aus den Ingelheimer Quellen selbst gestammt haben.

Wie lange diese Wasserleitung in Betrieb war, darüber findet man unterschiedliche Aussagen. Haupt schloss aus den geringen Kalksinterablagerungen, dass sie wahrscheinlich "nicht über viele Jahrzehnte oder gar über Jahrhunderte“ durchflossen wurde (Haupt S. 55). Andererseits weisen Gierszewska-Nosczcnska/Peisker darauf hin, dass beim Bau oder Umbau der Saalkirche in der Stauferzeit noch Rücksicht auf die gemauerte Wasserleitung genommen wurde (2020, S. 112). Dies muss aber nicht für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wasserleitung gelten, sondern könnte sich lediglich auf ihre Kanalfunktion innerhalb des Saalgebietes beziehen, denn in ihr wurden in dieser Zeit ja Tonröhren verlegt (so am Setzbecken). Aus der Stauferzeit stammen auch Bohrungen im Boden des Setzbeckens, in das Grundwasser einfließen konnte und sollte (wie auch heute, wenn auch nachlassend). Aus dem Setzbecken für durchfließendes Wasser wurde so ein Schöpfbecken für stehendes Wasser.

Haupt vermutete, dass sie relativ bald undicht wurde, da ihre Bauqualität doch nicht die von originalen römischen Leitungen erreichte. Sie habe sich möglicherweise an Stellen mit zu geringem Gefälle mit Sedimenten zugesetzt, während sie an anderen Stellen undicht geworden sein könnte. Hinzurechnen muss man noch die Möglichkeit, dass ihr kleines Aquädukt, mit dem sie im Tal zwischen Wackernheim und Heidesheim den Bach überqueren musste, durch die Wasserfluten eines Unwetters zum Einsturz gebracht wurde und dass das politisches Interesse der spätkarolingischen Könige und daher ihre Bereitschaft fehlten, sie immer wieder reparieren zu lassen. Reichsversammlungen in Klausur wie in der Zeit Karls und Ludwigs fanden sowieso später nicht mehr statt.
 

Man weiß, dass in der Aachener Pfalz ein größerer Zier- und Trink-Wasserbrunnen um das Jahr 1000 existiert hat (Pinienzapfen als Aufsatz), also aus der Zeit Ottos III.; und man weiß auch, dass Karl sehr gern gebadet hat, sehr ausgiebig und mit vielen Personen zusammen, wie es Einhard – aber aus Aachen! – berichtet:

„Er mochte auch Thermalquellen, wobei er durch häufiges Schwimmen seinen Körper trainierte. Er konnte so gut schwimmen, dass man keinen anderen dabei für besser halten könnte. Deswegen ließ er auch in Aachen eine Königspfalz bauen und hielt sich dort in seinen letzten Lebensjahren bis zu seinem Tode ununterbrochen auf. Und er lud nicht nur seine Söhne zum Baden ein, sondern auch Adlige und Berater, manchmal sogar die ganze Menge seines Gefolges und seiner Leibwächter, so dass bisweilen hundert oder noch mehr Menschen zusammen mit ihm badeten.“ (Einhard, Vita Karoli, 22; Übersetzung: Gs)

Doch der kleine, unterdische Raum des überdachten Setzbeckens kann Karl sicherlich niemals als Bad gedient haben, wie es anfangs der Ausgräber Prof. Rauch vermutete (Grabungsberichte S. 71) und daraufhin der Volksmund lange Zeit als "Karlsbad" unterstellte. Karl zog in seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten wegen seiner Arthrose sowieso die Thermalquellen in Aachen vor. 

Haupt erwägt:
"Jedenfalls war die Wasserleitung ein Luxusbau, sie war angesichts ausreichender Wasservorkommen im Umfeld der Königspfalz zur Trinkwasserversorgung nicht notwendig. Ihr Bau, und wahrscheinlich auch die Errichtung der zugehörigen Verbrauchsbauten, ist nur vor dem Hintergrund der karolingischen Antikenrezeption zu verstehen. Mehrmals wurde die Ingelheimer Fernwasserleitung daher auch als „deutliches Zeichen königlicher Repräsentation“ bezeichnet. Selbstverständlich war nicht der Kanal selbst repräsentativ, vielmehr waren dies die mit dem Wasser der Leitung versorgten Baulichkeiten. Als der Dänenkönig Harald 826 in Ingelheim weilte, sah dieser wohl kaum den Aquädukt, der ja unterirdisch verlief. Wahrscheinlich wunderte er sich aber über die unerklärlichen Wassermengen, welche im Bereich des Palatiums diverse Wasserbauten speisten.

Daß dies eindrucksvolle Anlagen gewesen sein müssen, geht schon aus dem Aufwand hervor, der zum Bau der Leitung betrieben wurde. Allein für den Kanal (also ohne Brunnenfassungen, etwaige Hochbehälter u. ä.) wurden etwa 9000 m3 Baumaterial verbraucht. Etwa doppelt soviel Erdreich mußte bewegt werden, und eine nicht unbeträchtliche Fläche Land war der weiteren Nutzung entzogen. Hätte der karolingische Bauherr seine Fähigkeit zum Bau einer solchen Anlage offen zur Schau stellen wollen, so wäre die Errichtung einer monumentalen Aquäduktbrücke durch das Wackernheimer Tal hierfür besser geeignet gewesen.

Das Know-how für eine solche Bauleistung kann auf verschiedenen Wegen nach Ingelheim gelangt sein. So war antike Literatur zu diesem Thema in karolingischer Zeit sicherlich noch in größerem Umfang vorhanden, als dies heute der Fall ist. Vitruv und Frontinus seien daher nur stellvertretend genannt. Auch bestand die Möglichkeit zu Studien an römischen Originalen. Die Nutzung der Kölner Eifelwasserleitung als Steinbruch für Kalksinter, die Renovierung des römischen Badebetriebs in Aachen und die Reparatur stadtrömischer Aquädukte durch Papst Hadrian I. 772 n. Chr. sind nur einige Beispiele für die Beschäftigung mit antiken Wasserbauten im Frühmittelalter. Der Schritt zur Neuanlage einer Fernwasserleitung darf dennoch nicht unterschätzt werden...“ (S. 53/54)

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Gs, erstmals: 02.08.05; Stand: 21.12.21