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Der Bericht des Oppenheimer Landschreibers Johann Georg Reutlinger von 1587

 

Autor: Hartmut Geißler
nach seiner Darstellung des sog. Reutlingerberichts in BIG 59:
Reutlinger, Johann Georg: im „Salbuch Rheinhessen“ die „Renovation aller kurpfälzischen Gerechtigkeiten und Gefälle, insbesondere Steuern, Zoll, Geleit, Frondienste, Bußen, Leibeigenschaft und Gülten zu Oppenheim, Nierstein, Dexheim und Schwabsburg, im Ingelheimer Grund mit Ober-Ingelheim, Nieder-Ingelheim, Winternheim, Sauer-Schwabenheim, Elsheim, Bubenheim, Wackernheim und Frei-Weinheim sowie Daxweiler, angelegt von Johann Georg Reutlinger 1587, beglaubigt 1697.“ Mikrofilm von C 2 Nr. 398/3, Foll. 156v bis 199 (Ingelheimer Grund und Daxweiler)

 

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts und im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts bemühten sich die Regierungen der Kurpfalz um einen besseren Überblick über ihre Rechte in ihren verschiedenartigen Territorien und die ihr aus ihnen zustehenden Einnahmen.

Solche Bestandsaufnahmen waren aus Gründen der schwierigen Finanzlage des Staates auch dringend geboten. Denn während – so Meinrad Schaab – Kurfürst Friedrich II. (KF 1544-1556) noch recht gut hausgehalten habe, sei die Schuldenlast unter dem kulturbegeisterten Schuldenmacher Ottheinrich (KF 1556-1559) erheblich angestiegen. Sparsame Zeiten begannen wieder mit Friedrich III., dem strengen Calvinisten (KF 1559-1576). Aber auch er und der gleichfalls calvinistische Administrator Johann Casimir (1583-1592) stürzten die Finanzen des Landes durch ihre kostspieligen, aber erfolglosen militärischen Hilfsaktionen für die reformierten Glaubensgenossen in Frankreich und den spanischen Niederlanden in völlige Bedrängnis.

Um die Jahrhundertwende war die Finanzlage der Kurpfalz deshalb verzweifelt. Juristisch wurde 1582 unter Kurfürst Ludwig VI. das damalige „Landsrecht“ (Prozessrecht, Zivil- und Strafrecht, Eherecht) sowie die damalige Verfassungssituation in der „Landsordnung“ (Landesverwaltung) zusammengefasst. In deren Fassung von 1700 – in diesem Punkt unverändert – gab es als Artikel VII eine Anweisung für die Beamten: Kurtzer Memorial, darnach unsere Ober und Under Amptleut sich in Verwaltung ihrer Empter zu gerichten [haben]. Darin wurden die "Amptleut" ermahnt, zu verhindern, dass der Kurpfalz und ihren Untertanen an Unsern oder ihren Gerechtigkeiten, Freyheiten, Nutzungen und Gefällen, etwaß versäumt, entzogen oder verwahrlost werde. Weil allen Ämtern sogleich nach Erscheinen des Werkes ein Exemplar zugestellt wurde, dürfte diese Verordnung auch die rechtliche Grundlage für das Handeln des Oppenheimer Landschreibers Johann Georg Reutlinger gewesen sei.

Im Mittelpunkt des Berichtes, den Reutlinger als Oppenheimer Landschreiber (Verwaltungschef) verfasste, stehen daher Abgaben, Zölle und Steuern, aber auch die Zuständigkeit von Gerichten, wohl weil auch sie mit Gebühren verbunden war, und natürlich die finanziell relevanten Kriegsdienste.


Johann Georg Reutlinger

Reutlinger stand schon längere Zeit in Kurpfälzer Diensten, und zwar schon in der Regierungszeit Friedrichs III. Denn als „Pfleger“ im Schönauer Hof zu Heidelberg stellte er am 12. Juli 1567, am 31. Mai 1568 und im Jahr 1569 drei Urkunden aus, die sich mit den Pfälzer Rechten am ehemaligen Kloster Schönau befassten. Dieses Kloster war vor der Reformation neben Maulbronn das bedeutendste Kloster der Kurpfalz und wurde 1558 aufgehoben. Reutlinger verwaltete also in der Regierungszeit Friedrichs III. – ab wann und wie lange, ist unbekannt – die weiter eingezogenen Einkünfte des aufgehobenen Klosters für die Kurpfalz.

Über seine Oppenheimer Tätigkeit weiß man nicht viel. Wann er zum Landschreiber in Oppenheim ernannt wurde, ist unbekannt. Neben dem adligen Amtmann von Oppenheim, aber ihm nicht weisungsgebunden, stand der Landschreiber als etwa gleichrangiger Stellvertreter. Sein Amtmann war mit Unterbrechungen Dietrich Freitag (Theodoricus Freidachius). Freitag besaß ein Anwesen in Ober-Ingelheim und wurde auch in der Burgkirche bestattet. 

 

Die Rechte der Kurpfalz im Ingelheimer Grund nach Reutlingers Zusammenstellung

Aus der Nutzung von Rheinauen und der Fischerei stünden der Kurpfalz einerseits Zinsen für verliehene Nutzungsrechte zu und andererseits Hühner als Symbole der Pfälzer Obrigkeit, und zwar für den ganzen (mit Mainz umstrittenen ) Rheinabschnitt zwischen der Wallufer Fähre und dem kembder orth, ein charakteristischer Landvorsprung bei Kempten (fol. 179v).

In derselben Region beanspruchte die Kurpfalz auch das Recht auf das Hagen und Jagen (fol. 181).

Zinseinnahmen aus verliehenen Auen bezog die Kurpfalz von folgenden Klöstern und Personen(gruppen):

• von Kloster Eberbach (!)
• von den Mainzer Karthäusern
• vom Kloster Gottesthal (!)
• von den Erben der Petschenau,
• von der Gemeinde Wackernheim
• von Klickelmanns im Rheingau
• vom Schultheißen von Heidenfahrt
• vom Ingelheimer Fauth Bonifacius Gerloch
• von Hans Flicker zu Heidesheim
• von Bernhard Hassmannshausser, dem Kranenmeister in Frei-Weinheim
• von Philipp Knobloch und Simon Oller und Mitgesellen sowie von Weiprichts Henn (korrigiert!) und Thomas Mohr samt ihren Mitgenossen zu Heidesheim (foll. 189-191v), wahrscheinlich eine Fährgenossenschaft, die für die Ausübung des Fährgeschäfts Grundstücke am Rheinufer brauchte

Von den Klöstern Eberbach, Gottesthal und Johannisberg sowie von den Herren der Dreyser Aue und von Junker Hans Philipp Langwerth zu Hattenheim beanspruchte die Kurpfalz ein jährliches Huhn als symbolische Abgabe für deren Nutzung mehrerer Rheinauen, die die Kurpfalz beanspruchte. Aber das sei umstritten (fol. 193).

Auch die Haushalte der Dörfer Elsheim, Bubenheim, Frei-Weinheim und Wackernheim müssten jährlich ein Huhn geben; ausgenommen seien Pfarrer, Schultheiß und Frauen im Kindsbett (fol. 193v).

Die Kurpfalz bestand auch auf dem Geleitrecht (und den Einnahmen daraus). In diesem Zusammenhang gab es einen Konflikt mit den Ingelheimer Schöffen, die den Scharfrichter aus Bingen ohne offizielles Geleit nach Ingelheim geholt hatten (foll. 181v-182).

Vom Kran in Frei-Weinheim beanspruchte die Kurpfalz Kranengeld und Zoll (fol. 185). Auch auf dem Recht, einen Holzmarkt in Frei-Weinheim bzw. Gaulsheim abzuhalten, bestand die Kurpfalz. Darüber gab es einen regelrechten Handelskrieg mit Kurmainz (foll. 185v-187). Zeitweise war nämlich der umfangreiche Markt für Holzflöße, die ihre Fahrt rheinabwärts unterbrachen, von Weinheim nach Gaulsheim verlegt worden, weil der Rhein seinen Lauf so verändert hatte, dass die Flößer Frei-Weinheim als Zwischenstation nicht mehr gut ansteuern konnten. Dieser Holzmarkt wurde an einen Straßburger verpachtet und der Zins ging an die Kurpfalz.

Im Jahr 1518 hatte sich die Kurpfalz von Kaiser Maximilian in den Verhandlungen vor der Wahl seines Enkels Karl von Spanien zum deutschen König das Recht auf einen Guldenzoll einräumen lassen, d.h. das Recht auf einen Zoll pro Fuder Wein (und auf Frucht). Dieser Zoll wurde in Frei-Weinheim (am Rheinhafen), in Nieder-Ingelheim (an der Mainzer Straße) und in Elsheim (am Elftausend-Mägde-Turm) erhoben. In Ober-Ingelheim könnten die beiden Tore an Selzfurten wie in Elsheim gemeint sein, das Ohrenbrücker und das Altengässer Tor. Desgleichen wurde ein Salzzoll von einer jeden Salzladung erhoben, berechnet nach Pferden, ebenso ein Zoll auf Pferde, die verkauft werden sollten (foll. 187v-188).

Pauschale Geldgefälle hätten Ober- und Nieder-Ingelheim und Schwabenheim einmal pro Jahr an die Kurpfalz zu zahlen (fol. 188v). Frei-Weinheim hingegen müsse eine jährliche pauschale Leibs-Bede zahlen, die auf die Einwohner umgelegt wurde, unabhängig von der Einwohnerzahl (fol. 191v). Die Einwohner von Elsheim, Bubenheim und Frei-Weinheim hätten pro Haushalt jährlich ein Huhn zu liefern (fol. 193v).

Fruchtgefälle (vier Malter Korn) beanspruchte die Kurpfalz nur von einem Weingarten in Nieder-Ingelheim, den Schusters Hans und Klaibers Erben innehatten, genannt der Beltzersgarth, wahrscheinlich ein letzter Rest des dortigen Königsgutes (fol. 192). Ansonsten hatte die Kurpfalz keinen Anspruch auf Korngefälle aus dem Ingelheimer Grund.

Inhaltsübersicht

Blatt/Fol.  Überschrift (und weitere Stichworte)

155v        Ingelheimer Grund (und seine Orte)
156-156v Schultheißen (und Grundräte)
157-157v Von hoher Obrigkeit und Kirchenregiment
158v        Erbhuldigung
159-159v Schöffeneid
160-161v Der Schultheißen Besoldung
162-164   Von Gericht und Recht in geist- und weltlichen Sachen (Klagen über ausgefallene
                Gerichtstage, Ungebotenes Ding)
164v-165 Vom Radbrennen
165v        Geistliche Gerichtssachen (in Heidelberg)
166          Appellations-Sachen (beim Heidelberger Hofgericht)
166v-168v Malefiz-Sachen (Strafrecht)
169-169v Frevel und Bußen
170-173v Folg, Rayß und Musterung (Kriegsdienst mit Präzedenzfällen)
174-174v Schatzung und Steuer (Türkenschatzung, Landsteuer, Heiratssteuer)
175          Nachsteuer (von Ausziehenden)
175v        Einzugsgeld (von Zuziehenden)
176          Umbgeld (Weinsteuer)
176v        Bastard- und andere Gefälle (Erbe von nichtehelichen Kindern von Adligen und
                andere Regalien)
177          (Keine fremde) Leibeigenschaft
177v-178 Zollfreiheit 178v Atz (Verköstigungspflicht)
179          Kein Frondienst
179v-180v Wörth, Auen, Fischen und Eiswasser (Auennutzung und Fischerei,
                Streitigkeiten mit Kurmainz)
181          Hagen und Jagen
181v-182 Geleit
182v-183 Gemeine Bede
183v-184v Gemeine Fleckens Nutzung (Gemeindesteuern)
185          Kran zu Frei-Weinheim
185v-187 Holzmarkt zu Frei-Weinheim (Streit mit Mainz)
187v-188 Guldenzoll und andere Zölle
188v        Geldgefälle
189-191   Geldgefälle von (verliehenen) Auen
191v        Zins von einer Leibsbede (pauschal in Frei-Weinheim)
192          Fruchtgefälle (aus dem Belzergarten in Nieder-Ingelheim)
192v-193 Hühnergefälle von Rheinauen
193v        Hühnergefälle von Dörfern (Elsheim, Bubenheim, Frei-Weinheim, Wackernheim)
194v-199 Daxweiler (Streit um Gerichtshoheit und Abgaben)

 

Gs, erstmals: 21.03.21; Stand: 21.03.21