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Die Besitzungen des Klosters Hersfeld in Ober-Ingelheim


Autor: Hartmut Geißler
nach Philipp Krämer, Ober-Ingelheim. Ein Heimatbuch. (= BIG 45, Nachdruck von Band 5 von 1954). Ingelheim, Hist. Verein 2000, S. 15 - 18

Zu einem weiteren, urkundengestützen Artikel von Andreas Saalwächter aus BIG 9 (1958), S. 134-139, als pdf zu laden

Der Geismarsche Hof

Am Ende der Kirchgasse (heute: An der Burgkirche) steht das ehemalige Hofhaus des Klosters Hersfeld, dessen hoher Staffelgiebel noch aus gotischer Zeit stammt, Nr. 11. (s. Abb. rechts)

Der schöne Torbogen aus Diamantquadern, stark verwittert, Nr. 13, wurde 1612 erbaut. An der rechten Seite befand sich ein Steinmetzzeichen. Links vom Haupttor befindet sich ein kleinerer Eingang mit demselben Zeichen und der Jahreszahl 1612.

Karl der Große schenkte in seinen ersten Regierungsjahren (bis 775) dem von dem Mainzer Erzbischof Lullus gegründeten Kloster Hersfeld eine Kapelle, die an der Stelle der Burgkirche lag, mit einem Landgut von 2 Hufen ("Höfe", jeder etwa 30 Morgen) und 4 Mansen. Ein Teil dieses Gutes lag zwischen der Kirch- und Ringgasse, begrenzt im Osten von der im 14. Jahrhundert erbauten Stadtmauer. Am 31. Juli 1051 schenkte Kaiser Heinrich III. [..] einen in seinen Grenzen genau beschriebenen Weinberg. Auch der große Pfarrgarten mit dem von jeher darauf errichteten Pfarrhaus links der Ringgasse, die damals Ruthardsgasse genannt wurde ­ Ringmauern standen noch nicht -, gehörte dazu.

Einschub Geißler: Begrenzungsangaben in der Schenkungsurkunde MGH, DD H III Nr. 274, S. 375: "Terminatam ab ecclesia sancti Wigberti usque ad rivum Runderbach/Rynderbach et inde sic deorsum usque ad Ruthardesgazzun/Ruttersgassen indeque ad Krumenstein/Crumbenstein et inde ad predictam ecclesiam per circuitum", d. h. übersetzt: "Begrenzt von der Kirche St. Wigbert bis zur Runderbach (2 Handschriften auch "Rynderbach") und von dort nach unten bis zur Ruthardsgasse und von dort zum Krummen Stein (?) und von dort kreisförmig zur vorerwähnten Kirche." - Leitet sich vielleicht der Name "Rinderbach" gar nicht von "Rindern" ab, sondern davon, dass er als "runder" Bach den Hersfelder Hof in der Ringgasse umfloss?

Dies alles war Eigenbesitz der Abtei Hersfeld, welche durch den Kirchenpatron St. Wiprecht ihr Besitz- und Verleihungsrecht ausdrückt. Der Abtei stand der gesamte Zehnte an Frucht und Wein in Ober-Ingelheim zu, den sie gelegentlich verpachtete. Die alte Zehntscheuer, ziemlich inmitten des Gutes gelegen (Ringgasse 12), brannte im Dezember 1896 ab.

Zu Ende des 14. Jahrhunderts hören wir von einer Veräußerung des Hofes. Am 2. Juli 1392 beurkunden Schultheißen und Schöffen des Gerichts zu Ingelheim, daß Reinhard Abt, Albrecht Decan, Albrecht Probst des Kapitels und der ganze Konvent des Stiftes zu Hersfeld dem Thammen Knebel, Schultheißen zu Oppenheim, Konegunden seiner Ehefrau, Gudechin, ihrer Tochter, und Gredechin, Herrn Otten Knebels Tochter, Ritters, ihr Gut, Weinberge, Weinzehnten, Freihaus und Freihof zu Ober-Ingelheim, ausgenommen ihr Mannlehen, auf Lebenszeit verkauft haben. Als Bevollmächtigte des Stiftes zur Beurkundung und Übergabe dieser Güter waren der Werkmeister Hermann Ketenbur und der Schreiber des Abtes Johann Ortonis vor dem Gericht erschienen.

Von allen Gütern der Abtei hat sich der Besitz in Ober-Ingelheim am längsten gehalten, ohne Zweifel wegen des Weines. Im Jahre 1606 war die Abtei Hersfeld an Hessen-Kassel gefallen. Landgraf Moritz als Administrator verlieh später den Hof samt den dem Kloster übrig gebliebenen zwei Dritteln vom großen Frucht- und Weinzehnten an seinen Kämmerer Georg Levin van der Marten. Den Schlußstein des genannten Torbogens schmückte ehemals dessen Wappen in Verbindung mit dem seiner Frau Amalia Dorothea Christina von Abtenzell. In der französischen Revolutionszeit fiel dasselbe dem Meißel zum Opfer.

Der hessische Kämmerer van der Marten war zwischen 1616 und 1620 verstorben, ebenso seine Söhne Moritz und Friedrich und eine Tochter Anna Christina, deren Grabplatten noch vorhanden sind.

Ein weiterer Bewohner zu dieser Zeit war der Letzte aus dem Geschlecht von Berlichingen, Hironymus Christoph (nach einem Eintrag vom 16. Juli 1615 in einem Buche der ehemaligen Berlichingischen Bibliothek in der Landesbibliothek Darmstadt). Er hatte seinen Aufenthalt bei seiner Tante Amalia von der Martten († 17. 1. 1618 zu Ober-Ingelheim), der Witwe Johannes von Groenrodts, Amtmanns zu Odernheim. Wahrscheinlich ist auch Hironymus Christoph im Jahre 1615 oder 1616 zu Ober-Ingelheim gestorben. Seine Stiefmutter war Beata von Berlichingen geb. van der Marten. ­

Die Witwe Amalia Dorothea van der Marten heiratete 1623 den Edlen Martin Lopes von Villanova, wodurch der Hof an diese Familie kam. Ein schönes Ehewappen der beiden, von ihrem Grabstein stammend, befindet sich zu Nieder-Ingelheim an der alten Post.

Amalie Dorothea starb am 29. 9. 1658 zu Ober-Ingelheim, 72 Jahre alt. Ihr Gemahl war ihr bereits vorausgegangen. Erbe des Hofes wurde deren am 27. Januar 1626 zu Ober-Ingelheim geborener Sohn Friedrich Justus Lopes. Seine Ehefrau war Alberta von Günterodt. Als am 18. Juni 1666 das große Peststerben begann - es starben bis Ende dieses Jahres hier 500 Personen -, ereilte den 40 jährigen am 7. Oktober der Tod. Er war, wie das Sterbebuch sagt, der Letzte seines Stammes, „wie man dafür hält“, der reformierten Religion zugetan, ein guter Religionsfreund und Pastor Ministery. Auch ein junger Theologe, Johann Jürgen Hammerschmitt, Sohn des Andreas Jürgen Hammerschmitt zu Siegen, der bis zu seiner Anstellung bei den Lopes'schen Kindern die Stelle eines Hauslehrers versah, starb in diesem Hause an der Pest.

Alberta geb. von Günterodt heiratete in zweiter Ehe einen Herrn von Bettendorf und war 1780 wieder Witwe. Durch die Heirat der einzigen nachgelassenen Tochter Juliana Sophia Lopes gelangte der Hof an einen Herrn von Mosbach. Sie starb am 28. Mai 1752 zu Ober-Ingelheim im Alter von 95 Jahren.

Die Erbtochter derselben, Anna Elisabetha Charlotta von Mosbach zu Lindenfels, heiratete 1722 den Freiherrn Hugo Franz Lothar von Geismar, Markgräflich Badischer Geheimer Rat, † 1772, der ein besonderer Gönner der hiesigen katholischen Kirche war.

Am 5. Thermidor 13. Jahres der Republik (24. Juli 1805) kaufte der Gutsbesitzer und Bezirksrat Herr Philipp Derscheid (Einschub Gs: identisch mit Jakob Derscheid?) zu Ober-Ingelheim die ganze Hofanlage von den Erben des Freiherrn von Geismar, wohl auf Spekulation; denn am 30. September 1810 hat er dieselbe an den hiesigen Notar Steinem weiterverkauft.

Am 20. März 1835 wurde bei einer Versteigerung die schöne Besitzung aufgeteilt. Es erwarben der Notar Franz Nikolaus Walther einen Teil mit dem alten Hofhaus für 2415 Gulden, ein Herr L. Creynest das Hinterhaus mit Park (Kasino) für 4000 Gulden und Herr Philipp Odernheimer den Teil in der Ringgasse Nr. 16 zu 600 Gulden.

In letzter Parzelle am Rinderbach aufwärts bis zur Stadtmauer und nach der Kirche zu sich erstreckend, lag der geschenkte Weinberg. Kaiser Heinrich III. erhielt als Gegenleistung einen edelsteinbesetzten Reliquienschrein der Klosterheiligen Simon und Juda, den sogenannten Krodo-Altar, für die von ihm gestiftete Kirche in Goslar (heute im Museum daselbst befindlich).


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Gs, erstmals: 08.11.07; Stand: 11.03.21