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Die Generalsynode von 948 und andere Synoden in Ingelheim


Autor: Hartmut Geißler

nach Fuhrmann und Erler
unter Heranziehung der MGH-Editionen von Flodoardus' Annales
und seiner Geschichte der Reimser Kirche

 

Inhalt:

1. Die Synode von 948 in Ingelheim (St. Remigius)
2. Frühere "Synoden" in Ingelheimer
3. Spätere Synoden in Ingelheim
4. Die Jahrtausendfeier der Synode in Ingelheim im Jahr 1948 
 

1. Die Synode von 948 in Ingelheim

"In der Periode der sächsischen Könige haben in den Jahren von 948 bis 996 wahrscheinlich acht deutsche Nationalsynoden stattgefunden; sechs von ihnen, die wichtigeren, haben in Ingelheim getagt. Der Neueinsatz in ottonischer Zeit brachte das größte Ereignis der Ingelheimer Synodalgeschichte, die sancta ac generalis synodus des Jahres 948", stellte Horst Fuhrmann fest. Die Darstellung hier folgt im Wesentlichen seinem Aufsatz unter Berücksichtigung des Beitrages von Adalbert Erler in der Festschrift von 1948.

Veranlassung für diese große Synode waren die Verhältnisse im benachbarten westfränkischen Reich, dem heutigen Frankreich. Dort gab es einen komplizierten Konflikt zwischen dem französischen König Louis/Ludwig IV. (936 - 954), noch aus karolingischer Familie, aber in England im angelsächsischen Exil erzogen, und dem mächtigsten Kronvasallen, Herzog Hugo von Franzien, wegen seiner Macht, die größer war als die des Königs, auch "der Große" genannt. Er war es, der den jungen Louis aus England zurück nach Frankreich geholt hatte.

Ottos Situation war schwierig: Eine seiner Schwestern (Gerberga) war zuerst mit Giselbert, dem Herzog von Lothringen, verheiratet und nach dessen Tod mit dem König Louis. Eine andere Schwester (Hedwig) war aber mit Hugo verheiratet. Außerdem hatte Otto in den vorausgegangen innerfranzösischen Streitigkeiten einmal von Hugo gegen den abtrünnigen Lothringer Giselbert Unterstützung erhalten, ein anderes Mal aber war er, Otto, dem König Louis gegen Hugo zu Hilfe geeilt.

Dieser politische Streit hatte auch Folgen für das Bistum Reims, den vornehmsten Bischofssitz Frankreichs, dessen Inhaber den König krönen durfte. Nach der Eroberung von Reims durch Hugo im Jahre 940 hatte dieser den Sohn seines wichtigen Verbündeten Graf Heribert, der gleichfalls Hugo hieß, wieder als Bischof von Reims eingesetzt, in ein Amt, das diesem schon einmal von 925 (im Alter von fünf Jahren!) übertragen worden war. Diese völlig unkanonischen Verhältnisse hatten Ludwigs Vorgänger, den König Rudolf (923 - 936), bewogen, den jungen Hugo zu vertreiben und einen Mönch Artold aus dem Reimser Kloster St. Rémi (Remigius!) einzusetzen. Dieser Artold und jener Hugo wechselten noch einmal auf dem Bischofssitz, aber seit 946 war wieder Artold Bischof, ohne dass Hugo auf seinen Anspruch verzichtet hatte. Es gab also ein Bischofsschisma in Reims, mit langer Vorgeschichte.

Mehrere Versuche, dieses beizulegen, auch ein Konzil, waren erfolglos geblieben. Daher schickte Papst Agapit II. den Bischof Marinus von Bomarzo als Legaten zu Otto, damit dieser eine entscheidende Generalsynode einberufe. Am 7. Juni 948 traten nun Bischöfe aus beiden Königreichen zu dieser Synode in Ingelheim zusammen.

Aus kirchlicher Sicht sprach eigentlich nichts für den Tagungsort Ingelheim, der - kirchlich völlig unbedeutend - neben dem erzbischöflichen Mainz lag. Es dürfte wie schon unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen die reisegünstige Lage Ingelheims und sein großes Platzangebot gewesen sein, die den Ausschlag gaben. Veranstaltungsort war jedenfalls die Remigiuskirche (größer als heute), die schon in der merowingischen Zeit eine wichtige Kirche mit Erwachsenentaufen gewesen war.

Es wurde eine Synode, die politisch mindestens genauso wichtig war wie kirchlich. Gleichwohl war es formal, wie Erler betont, durchaus eine kirchliche Synode, denn diese Plattform war es wohl, die sozusagen als neutrale Instanz unter päpstlicher Leitung ein politisches Einwirken vom ostfränkischen im westfränkischen Reich ermöglichte, was auf rein politischer Ebene schwerer zu vermitteln gewesen wäre.

Das Synodalprotokoll zählt die Anwesenden auf:
- die beiden Könige, Otto und sein Schwager Louis/Ludwig,
- der päpstliche Legat Marinus und über 30 Bischöfe, nämlich:
- sämtliche deutsche Metropoliten, die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Trier, Hamburg und Salzburg auch der Bischof von Basel, obwohl Suffragan des burgundischen Besançon
- alle deutschen Suffraganbischöfe (außer denen von Straßburg und Chur)
- Erzbischof Artold von Reims mit nur zwei (von Cambrai und Laon) von ca. 12 Bischöfen der Kirchenprovinz
- viele Äbte
- und zahlreiche Angehörige des niederen Klerus, darunter auch der Chronist des Konzils, der Domkleriker Flodoard aus Reims (gest. 966), ein Anhänger Artolds


Der Verlauf der Synode von 948

- Am ersten Tag (7. Juni 948) begann man nach kanonischer Vorschrift mit einem Gebet an den Heiligen Geist. Danach zogen die beiden Könige ein, setzten sich nebeneinander auf eine Bank an der Seite und nach einer Ansprache des präsidierenden Legaten Marinus begannen die Verhandlungen. Dabei beklagte sich König Louis über die Treulosigkeit seines Vasallen Hugo; er wolle sich dem Urteil des Konzils unterwerfen oder sei zu einem gottesgerichtlichen Zweikampf mit Hugo bereit. Die Synode stützte seine Position und drohte dem „Rebell“ Hugo mit dem "göttlichen Anathem" (dem Kirchenbann mit der Exkommunikation) und dem Verlust der Gnadenmittel beim göttlichen Gericht, d. h. sie untermauerte die weltlich-politische Treuepflicht eines Vasallen seinem Könige gegenüber mit religiösen Strafandrohungen.  

- Am zweiten Tag (8. Juni 948) wurde eine lateinische Klageschrift des Reimser Erzbischofs Artold verlesen, die zum besseren Verständnis beider Könige ins Deutsche übersetzt wurde, ("teutiscam linguam") übersetzt werden, wahrscheinlich ins Niederdeutsche, das Louis, der ja bei angelsächischen Verwandten in England aufgewachsen war, genauso gut verstand wie Otto, wahrscheinlich besser als das damalige Französisch. Latein verstanden sie offenbar beide nicht gut oder gar nicht. Gegen Artold trat zur Verteidigung des Bischofs Hugo ein Diakon Sigibold auf, der darlegte, dass Hugo aufgrund eines päpstlichen Mandats rechtmäßiger Bischof von Reims sei. Dieses Mandat sei ihm vom Vorsitzenden Marinus von Bomarzo persönlich in Rom überreicht worden. Die Gegner Hugos konnten allerdings glaubhaft machen, dass eine Petition, aufgrund deren der Heilige Stuhl jene Entscheidung getroffen hatte, eine Fälschung gewesen sei. Dadurch galt nun Sigibold als Fälscher, wurde seiner geistlichen Würden entkleidet und verbannt - der Reimser Bischofsstreit war zugunsten Artolds entschieden.

- An den folgenden Tagen wurden - anscheinend ohne die Könige, die das Latein der Verhandlungen sowieso nicht verstanden hätten - andere Tagesordnungspunkte diskutiert und verabschiedet, mindestens fünfzehn, insbesondere Vorschriften über Disziplin und Kirchenzucht: So sollten u.a. ohne bischöfliche Genehmigung keine Kirchen an Priester vergeben werden (grundherrliche Eigenkirchen), Priester sollten von Laien nicht geprügelt werden (gemeint waren ihre Grundherren), Weihegeschenke und Kirchenzehnte sollten nicht an Laien (die Grundherren) vergeben werden. Erler urteilt (S. 30), dass damit zwar nicht das Eigenkirchenrecht der Grundherren beseitigt wurde, doch aber einige seiner Missbräuche bekämpft wurden. Das Osterfest sollte die ganze Osterwoche gefeiert werden und Pfingsten vier Tage, und es wurden einige Ehevorschriften erlassen. Außerdem wurde anscheinend über das bis dahin suffraganlose Erzbistum Hamburg und das jütländische Missionsgebiet beraten, es wurden wahrscheinlich in Ingelheim drei dänische Bischöfe als Suffraganbischöfe des Hamburger Erzbischofs Adaldag geweiht: Liafdag von Ripen, Horath von Schleswig und Reginbrand von Aarhus. Möglicherweise stand auch der Ausbau einer Bistumsorganisation im Slawenland auf der Tagesordnung, denn wenig später (Oktober 948) wurden die Bistümer Brandenburg und Havelberg eingerichtet.

- Am Schluss wurde nochmals dem Herzog Hugo mit dem Anathem, der Exkommunizierung, gedroht.

Diese Konzilsbeschlüsse änderten aber an der Lage in Frankreich kurzfristig nichts. Da Otto von Louis offiziell um Hilfe gebeten worden war, musste er die Beschlüsse von Ingelheim nun mit militärischer Gewalt durchsetzen. Der folgende Feldzug gegen Herzog Hugo wurde deshalb als Exekution der Ingelheimer Beschlüsse deklariert, konnte aber trotz einiger Teilerfolge die starke Festung Laon nicht brechen, sodass er letztlich erfolglos blieb. Auch eine neue Synode in Trier am 8.9.948, die Herzog Hugo exkommunizierte, konnte dessen Widerstand nicht brechen. Selbst einer Synode in Rom ein Jahr später 949 unter dem Vorsitz des Papstes gelang das nicht. Erst eine Vermittlungsaktion im Jahre 950 durch den Herzog Konrad den Roten von Lothringen im Auftrage Ottos führte zu einem Ausgleich zwischen den beiden Kontrahenten König Louis und Herzog Hugo.

Die Synode von Ingelheim war also, was die Auseinandersetzung zwischen König Ludwig und Herzog Hugo angeht, ein Glied einer längeren Kette von kirchlichen und militärischen Aktionen.


2. Frühere "Synoden" in Ingelheim

- 788 unter Karl dem Großen wird in den Ann. r. Fr. eine Versammlung "Synode" genannt; da aber in karolingischer Zeit die Reichsversammlungen auch häufig mit dem traditionellen griechischen Begriff "Synodos" bezeichnet wurden, was dasselbe bedeutet wie das lateinische Wort "Conventus" (wörtlich: "Zusammenkunft"), dürfte damit eine normale Reichsversammlung gemeint gewesen sein, bei der nach Hinkmar sowohl die weltlichen, als auch die geistlichen Vasallen anwesend waren; es war die Versammlung, bei der der Tassiloprozess stattfand;

- 826 fanden unter Ludwig dem Frommen zwei Reichsversammlungen in Ingelheim statt, bei denen auch kirchliche Fragen geregelt wurde; Bezeichnung in den Annales r. Fr.: "conventus";

- 840 soll nach dem Tod Ludwigs unter seinem Sohn Lothar eine "Synode" zur Rehabilitation des Erzbischofs Ebo von Reims in Ingelheim abgehalten worden sein, bei der dieser wieder in sein Amt eingesetzt wurde; die Überlieferung zu dieser angeblichen Synode in Ingelheim ist allerdings problematisch, da sie wahrscheinlich auf eine Fälschung Ebos zurückgeht.

Mit der Synode von 948 beginnt also eine Reihe von rein kirchlicher Synoden in der Ingelheimer Pfalz.


3. Spätere Synoden in Ingelheim

- 958, eine Woche nach Ostern, das Otto I. in Ingelheim feierte, ein Konzil von 16 Bischöfen über den Salzburger Metropolitansitz

- 972 im September eine deutsche Nationalsynode, über die es aber nur eine (parteiische) Quelle gibt, und zwar über den Augsburger Bischof Ulrich

- 980, nun unter Otto II., seine einzige Synode auf deutschem Boden, die gleichfalls sehr schlecht dokumentiert ist; es ging wohl um die Abtwahl in zwei Klöstern (Stablo und Malmedy)

- 993, an Ostern, wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Hoftag Ottos III. und seiner Großmutter Adelheid, die mit Theophanu seine Vormundschaft führte

- und 996, am 5. Februar, im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Romzug Ottos III.; es ging bei beiden Synoden erneut um die Besetzung des Reimser Erzbischofstuhles.


Alle diese ottonischen Synoden in Ingelheim waren keine internen Kirchenversammlungen, keine Diözesan- oder Provinzialkonzile, einberufen und abgehalten von einem Bischof, wie z. B. in Mainz, sondern auch sie wurden vom König veranstaltet, von ihm wurde eingeladen, es waren sozusagen "staatliche" Synoden. Fuhrmann betont deshalb auch, dass keiner der Beschlüsse dieser Ingelheimer Synoden in die kirchenrechtliche Sammlung aller bedeutsamen Synodalbeschlüsse des Dekrets Gratians von 1140 aufgenommen worden ist (S. 170).

Und Stratmann formuliert in der Einleitung zum Text der Historia Remensis Ecclesiae, S. 138:
"Die Bedeutung der Ingelheimer Synode liegt in ihren (kirchen-) politischen Beschlüssen zu den Auseinandersetzungen in Frankreich, nicht in ihren Kanones zu traditionellen Gegenständen synodaler Gesetzgebung... Ingelheim war eine "politische" Synode, auf der fast der gesamte deutsche Episkopat die Westpolitik seines Königs unterstützte."


4. Die Jahrtausendfeier 1948 der Synode in Ingelheim

Das Jahr 1948 bot Anlass, in Ingelheim der großen Synode von 948 in in dreitägigen Fest-Veranstaltungen und Publikationen zu gedenken, drei Jahre nach dem Ende der katastrophalen Naziherrschaft und des Zweiten Weltkriegs, umgeben von völlig zerstörten Städten, in der französischen Besatzungszone und unter französischer Kontrolle. Die Gedenkfeiern wurden zum ersten Fest nach dem Krieg.

Bei dieser Gelegenheit nahm auch der Ingelheimer Historische Verein wieder seine Arbeit auf, ein Naturhistorisches Museum wurde gegründet und das Historische Museum wiedereröffnet.

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Gs, erstmals: 16.03.06; Stand: 15.03.21