Autor: Hartmut Geißler
nach: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern
Es gibt Belege dafür, dass auch in ländlichen fränkischen Hofgütern christianisierte Frankenfamilien sich Grabsteine nach alter römischer Sitte setzen ließen. Aus dem benachbarten Bingen ist die Siedlungskontinuität seit der römischen Antike bekannt.
Dies war möglicherweise auch in Kempten so, an der Straße zwischen Bingen und Ingelheim unterhalb des Rochusberges gelegen, denn ebenso wie der Ortsname „Bingen“ geht „Kempten“ auf einen gallorömischen Ortsnamen zurück, es ist also keine fränkische Neusiedlung auf "–heim".
Der unten abgebildete Grabstein - in zwei Teile zerbrochen - wurde anscheinend auf einem fränkischen Gräberfeld südlich der Pfarrkirche gefunden und in deren Turm bzw. neben dem Altar der alten Kirche eingemauert. Er ist jetzt wieder zusammengefügt und an der Nordwand in der Kirche aufgestellt.
Die Beschriftung wurde auf einem Rosettenstein eingemeißelt, der ein inschriftloses Pendant in Mainz hat. Eine Kirche gab es an dieser Stelle seit mindestens 745, der romanische Turm stammt aus staufischer Zeit. Die heutige Kirche ist ein Neubau von 1933.
Die barbarische Form der Beschriftung, die nur anfangs auf die Rosette Rücksicht nimmt und dann anscheinend planlos irgendwie weiter und darüber gekritzelt wurde, wohl damit noch alles draufpasst, steht in einem krassen Gegensatz zum hohen, fast lyrischen Niveau des Inhaltes.
Das benutzte Latein ist fehlerhaft, z.B. „in hunc (tom)olo“ statt grammatisch richtig „in hoc (tom)olo“, „annus“ statt „annos“.
Der (hier abgekürzte) spätantike Titel „illustris“ des Patronus Mactichildus – „inl. (p)atroni“ – deutet auf einen fränkischen Grafen hin.
Bertichild wurde demnach mit 15 Jahren mit dem Franken Ebregisel verheiratet und starb mit 20 Jahren. Dass hochgestellte Personen den Witwen, Waisen und Armen zu spenden hatten, gehörte ganz selbstverständlich zum spätantiken christlichen Rollenverständnis dazu und wird von dieser Frankenfamilie übernommen.
Gs, erstmals: 30.07.05; Stand: 04.01.18