Autor und Foto: Hartmut Geißler
(vgl. BIG 49, S. 220-224)
Der Johann Bauer der Nordseite erscheint hier vierzeilig mit abgekürztem Vornamen, aber mit denselben Geburts- und Sterbedaten und zusätzlich mit seinen Militärdaten. Diese sind die detailliertesten durch die Angaben zweier besonders umkämpfter Orte, die bis heute einen ebenso legendären Ruf haben wie etwa "Stalingrad" im Zweiten Weltkrieg. Der hart umkämpfte Übergang über die schon Eis führende Beresina (Bjarezina) in Weißrussland am 19. Oktober 1812 gehörte zu den verlustreichsten "Abenteuern" beim Rückzug aus Russland.
Vorher schon hatten sich einige napoleonische Truppen zwei Monate in dem damals kleinen Ort Polozk (Polazk) an der Düna/Dwina verschanzt und mehrere Angriffe überlegener russischer Truppen unter hohen eigenen Verlusten erfolgreich abgewehrt. Das dortige Museum erinnert noch heute an die Kämpfe.
Wer unter den Stichworten Beresina und Polo(t)zk im Internet auf die Suche geht, findet Artikel von bayrischen und Schweizer Traditionsverbänden aus der napoleonischen Zeit, in denen diese Kämpfe beschrieben werden. Wer Polotzk und den Beresina-Übergang lebend überstanden hatte, der war der schlimmsten Hölle der napoleonischen Kriege entronnen.
Mit den abgekürzten Wörtern "U.GEP" hinter "BERESINA" ist wahrscheinlich gemeint "U.(ND) GEF.(ANGEN)" (so nach Sander). "GEP:" müsste dann schon ursprünglich verschrieben sein statt "GEF:", denn ein großes F lässt sich auf der Gesteinsoberfläche nicht erkennen.
Auch bei Johann Bauer könnte die Doppelung der Inschrift auf die Familie (Rückseite) und den Verein (Ostseite) zurückzuführen sein. Überhaupt findet sich auf der Ostseite keine einzige Inschrift ohne militärische Angaben.
Am wenigsten steht davon bei Joh[ann] Faulhaber II. in der Mitte dieser Seite, bei dem nur seine Truppe, das 16. Linieninfanterieregiment, vermerkt ist, aber keine Feldzüge oder Schlachtenorte. Die Raumverteilung seiner Inschrift zeigt das Bemühen um Mittigkeit. Sander gibt für ihn als (späteren) Beruf beziehungsweise soziale Stellung an: "Ackersrnann und Gemeinderath", außerdem: "6 Jahre Soldat im 16. Lin.-Inf.-Reg. Feldz.: in Italien, Frankreich, Oesterreich, Böhmen, Holland und Spanien. Mehrmals blessirt und zuletzt durch eine Flintenkugel, die er noch bei sich trägt." - Es ist daher etwas erstaunlich, dass seine Inschrift auf dem Denkmal so knapp geraten ist. Nach Auskunft des Stadtarchivs lebte er von 1789 bis 1864.
Blickfang der Ostseite ist zweifellos die schön gestaltete Inschrift für Johann Mathias Zilluf. Sie ist in großen Frakturbuchstaben (anders die Zahlen) mit verzierten Initialen fehlerlos und präzise mittig gehalten, geht über sieben Zeilen und verbraucht den Raum von eineinhalb Quadern. Er ist der einzige mit der Angabe eines präzisen Geburts-Tages. Auffällig bei ihm ihm nicht nur die Größe und Ausgewogenheit der Schrift, sondern auch das Fehlen aller Abkürzungen, so dass diese Inschrift den meisten Platz brauchte.
Auch bei ihm wurde der Feldzug nach Russland für erwähnenswert gehalten und das mit gutem Grund; in Sanders Gedenkbuch findet man zu ihm weitere Angaben: "Zilluf, Johann Mathias, Ackersmann und Gemeinderath, 1792-1863, 2 Jahre Grenadier-Tirailleur, 4. Garde-Regiment, Russland, war zweimal gefangen, ranzionierte sich zweimal und kam bei Königsberg wieder zur Armee. (Das genannte Regiment wurde in Rußland bis auf 8 Mann aufgerieben.)" - "Sich ranzionieren" bedeutet: sich gegen Zahlung auslösen (se rançonner).
Wie das praktisch damals in Russland vor sich gegangen sein soll, weiß ich nicht. Jedenfalls spricht diese Nachricht ebenso wie seine bei Sander angegebene Stellung als (späterer) Gemeinderat dafür, dass die Größe und Schönheit seiner Inschrift wahrscheinlich ihren Grund in einer größeren Finanzkraft der Familie Zilluf hatte.
Ganz unten und von der prächtigen Zilluf-Inschrift fast erdrückt, befinden sich drei Zeilen für einen "Heinrich Hirstius 3." Sie sind wieder in den gleichen einfachen lateinischen Großbuchstaben gehalten wie bei Lieb Anton auf der Westseite. Wie bei Zilluf ist der Feldzug nach Russland auch bei ihm erwähnt, wenn auch sprachlich etwas ungeschickt ("WAR MIT DEM FELDZUGE NACH RUSSLAND").
Über Johann Bauers Inschrift stehen zwei Zeilen für einen Benedikt Beär (sic!) aus der jüdischen Familie Baer, die auch anderweitig in Großwinternheim nachgewiesen ist. Die Inschrift ist in einer ähnlichen Type wie die oberen Inschriften der Nord- und der Westseite gehalten, nach unten gleichfalls durch den schönen Trennstrich abgetrennt: "DINTE" ohne "E" ist ein ursprünglicher Schreibfehler, ebenso wie das "J" statt eines "I" bei "JN.REGIMENT". Dieser Benedikt Beär ist der jüngste unter den hier genannten Veteranen, erst 1795 geboren, so dass er im Jahre 1815 erst 20 Jahre alt war. Ist er schon in jüngerem Alter, etwa mit 18 Jahren, Soldat geworden?
Die oberste Inschrift auf der Ostseite ist einem Jacob Schöneck gewidmet, dem mit dem Geburtsjahrgang 1780 (das Stadtarchiv ermittelte 1781) ältesten der hier erwähnten Veteranen. Als er zwanzig Jahre alt war, schrieb man das Jahr X der republikanischen Zeitrechnung, also 1800 oder 1801. Ist mit "Sachsen" die napoleonische Besetzung Sachsens nach dem Sieg bei Jena und Auerstädt 1806 gegen das preußisch-sächsische Heer gemeint oder die Völkerschlacht bei Leipzig 1813?
Seine fünf Zeilen stehen ganz oben wie die Frontseiten-Inschrift von Anton Lieb, aber im Unterschied zu ihr in schmucklosen lateinischen Großbuchstaben. Bei der Herstellung seiner Inschrift war anscheinend das Todesjahr (1852) zuerst vergessen worden, so dass es nachträglich mit ganz kleinen Zahlen zwischen "Apr." und "10 1/2" eingeschoben wurde.
Mit den angegebenen zehneinhalb Jahren ist er möglicherweise der dienstälteste der Großwinternheimer Veteranen und durch die Länge seines Militärdienstes auch ein Abbild der napoleonischen Kriegszüge in ganz Europa: "England, Preußen, Russland, Spanien, Sachsen" (nicht in chronologischer Reihenfolge) werden genannt. "Sapeure" waren Pioniere. Seine englische Gefangennahme dürfte während des Krieges in Spanien erfolgt sein.
Gs, erstmals: 18.12.05; Stand: 03.12.20