Autor: Hartmut Geißler
aus: Erler, Der Ingelheimer Oberhof, S. 194
"»Fensterln« als Hausfriedensbruch. 1403 ( E 647)
Text: Item Clais von Heimbach had gefreget:
ein dochtir habe ime bescheiden, und quam eins nachtis czu ir, und waz daz ir wille, und wisete in eine stege uff. dez worth der stieffadir in deme huse dez gewar und enbrannte ein liecht, und alse er daz liecht sehe, du wisste er enweg und ließ die cleider dainne. dez komme ir muder und clage von ime, daz er by nacht und nebil und mit gewalt in ir hus gestigen habe.
D e z i s t g e w i s e t : bekennet die dochtir, daz sie ime bescheiden hette, und ir wille waz, so ist er darumb nymande nichts schuldig. bekente sie iz abir nit, trede er dan dar und swure czu den heiligen, daz er nit anders da willen hette czu dun dan umb der dochter willen, und ime auch die bescheiden hette, so ist er abir nymand nichts darumb schuldig.
Übersetzung: Clais von Heimbach hat angefragt:
Eine Tochter habe ihn zu sich bestellt, und er kam zur Nachtzeit zu ihr, und es geschah mit ihrem Willen und sie zeigte ihm eine Stiege hinauf. Das bemerkte der Stiefvater in dem Hause und entzündete ein Licht, und als Clais das Licht sah, da entwischte er, ließ aber seine Kleider drinnen. Nun komme ihre Mutter und klage gegen ihn, daß er bei Nacht und Nebel und mit Gewalt in ihr Haus gestiegen sei. Clais begehrt Auskunft, ob er damit gegen den Gerichtsherrn oder das Gericht verbrochen habe.
Darauf ergeht die Weisung: Bekennt die Tochter, daß sie ihn bestellt hätte und daß es ihr Wille war, so ist Clais deswegen niemandem etwas schuldig. Sollte sie es aber nicht bekennen und trete er dann hin und schwüre einen Eid, daß er dort nichts anderes tun wollte als die Tochter besuchen, und daß diese ihn auch bestellt hätte, so ist er ebenfalls niemandem etwas schuldig.
Erläuterung: Der Liebhaber hatte sich bereits ausgezogen. Er ist nackt geflohen, und die Mutter hat als Beweismittel seine Kleider in Händen. Liegt Hausfriedensbruch vor? Einsteigen, um ein Mädchen mit dessen Einverständnis zu besuchen, ist nach der Weisheit der Ingelheimer Schöffen kein Hausfriedensbruch. Den Beweis darf der besagte Liebhaber mit seiner Freundin führen. Aber wird sie zu ihm stehen? Oder wird sie ihn vielmehr aus Schamgefühl verleugnen? Auch in diesem Fall weiß der Oberhof Rat. Dem Beklagten wird der einfache Reinigungseid zugestanden, um die formal begründete, menschlich aber kaum gerechtfertigte Klage aus der Welt zu schaffen."
Gs, erstmals: 15.01.09; Stand: 19.12.20