Autor: Hartmut Geißler
Neben schönen Bügelfibeln trugen fränkische Frauen der Merowingerzeit auch Scheibenfibeln, von denen die folgende aus Grab 21 des Gräberfeldes III in Ingelheim, eine „Pressblechscheibenfibel“ (Durchmesser 3,6 cm), als einzigartig herausragt (Ausstellungskatalog, Abb. 3 , S. 167):
Astrid Wenzel beschreibt und beurteilt:
„Das Preßblech ziert ein frontal dargestellter menschlicher Kopf mit langem, auf der Stirnmitte gescheiteltem, das Gesicht rahmenartig umgebendem Haar, weit aufgerissenen Augen und Mund, gerader Nase und gerundetem, bartlosem Kinn; sämtliche physiognomischen Details sind stark stilisiert wiedergegeben. Vom Oberkörper der Figur sind nur die gerundeten Schultern sowie ansatzweise Gewandfalten zu erkennen. Der rechte Arm ist mit ausgestreckter Hand vor der linken Schulter verschränkt, der Daumen weist nach oben. Hinter dem Kopf ist ein kreuzförmiger Strahlenkranz mit sternenförmigen Gebilden auszumachen, den man unschwer als Kreuznimbus bzw. Heiligenschein ansprechen möchte. Randlich umgibt ein geperlter Steg das Bild des Menschen."
"Ikonographischen Untersuchungen zufolge wird man kaum fehlgehen, die dargestellte Person als Christus (Pantokrator) zu identifizieren, womit die Ober-Ingelheimer Scheibenfibel mit zu den ältesten Christusdarstellungen im Raum nördlich der Alpen gehören dürfte. Ähnliche Darstellungen kennt man von anderen Preßblechscheibenfibeln und Goldblattkreuzen der jüngeren Merowingerzeit. Allesamt lassen sich diese Bilder letztlich von Kaiserporträtdarstellungen auf Münzen und Medaillons spätrömischer Zeit ableiten, womit zumindest ein Teil des Motivschatzes frühchristlicher Kunst unter den Merowingern offenbar unmittelbar dem der Spätantike entlehnt wurde.
Nach formenkundlichen Gesichtspunkten dürfte es sich bei der Preßblechscheibenfibel aus Ober-Ingelheim um eine hier heimische, ost-fränkische (austrasische) Arbeit handeln; vermutlich entstammt sie einer am Mittel- oder nördlichen Oberrheingebiet ansässigen Werkstatt. Ihr Herstellungszeitraum kann den genannten Parallelen nach einstweilen nur mit dem fortgeschrittenen 7. Jahrhundert umrissen werden.
Durch das Tragen einer solchen Fibel bekannte sich die einst im Besitz der Ingelheimer Scheibenfibel gewesene Frau offen zum Christentum, das seit der Taufe Chlodwigs immer stärkeren Boden im Frankenreich gewann. In jüngermerowingischer Zeit, den Jahrzehnten, in denen die mit der Preßblechscheibenfibel bestattete Frau lebte, war die christliche Religion im Reich der Merowinger längst weit verbreitet und überall anerkannt. Frauen der vornehmeren Bevölkerungsschicht ließen ihre Religionszugehörigkeit vielfach durch entsprechende Symbole (z.B. Kreuz- und Christusdarstellungen) auf Bestandteilen ihrer Tracht und ihres Schmucks zum Ausdruck bringen, so auch die Frau aus Grab 21 von Ober-Ingelheim.
Mit einem christlichen Heilszeichen versehen, verbanden Fibeln in der Art der hier vorgestellten Preßblechscheibenfibel Tracht- bzw. Trag- und Amulettfunktion miteinander.“
(S. 44/45).
Ein zweite ähnliche Pressscheibenfibel wurde im Grab 151 gefunden.
Zu Einzelheiten und zur Frage „Frühe Christen in Ingelheim“ siehe auch den Beitrag von Gundula Zeller im Ausstellungskatalog von Astrid Wenzel, S. 89 ff.
Bei weiteren Ausgrabungen im großen Gräberfeld an der Rotweinstraße wurden im Grab 422 laut Pressestelle der Stadt Ingelheim mehrere Objekte gefunden, die wahrscheinlich christliche Symbole enthalten, eine Gürtelschnalle und Beschläge mit christlich zu deutenden Kreuzen und ein Siegelring mit den Buchstaben QSD = Quis sicut deus (Wer ist wie Gott?), der allerdings schon in der Antike angefertigt worden sein könnte und ohne religiösen Bezug weiterverwendet wurde (AZ, 02.06.2023).
Gs, erstmals 30.07.05; Stand: 02.06.23